Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
den Hintern mit Blättern abzuwischen.
Dass wir zwei Nächte in Horombo verbrachten, bedeutete jedoch nicht, dass wir tagsüber ausruhen konnten. Nein, wir machten einen Tagesausflug zum Zebra Rock, ein Trip auf 4200 Meter Höhe, der unseren Lungen helfen sollte, sich auf die Sauerstoffarmut vorzubereiten, die uns bei unserer Gipfelwanderung erwartete. Es war ein echter Kampf. Egal, wie langsam ich ging, ich war ständig außer Atem. Ich schnaufte, als hätte ich gerade einen Sprint hinter mir, und dieses Gefühl verließ mich einfach nicht. Der Frust wuchs, bis ich sauer auf jeden und alles war. Ich war sogar sauer auf die Vereinigten Staaten, weil sie andere Maßeinheiten benutzten, und wenn Dismas uns mitteilte, in wie viel Metern Höhe wir uns befanden oder wie viel Kilometer wir bereits zurückgelegt hatten, verstand ich nur Bahnhof, weil ich einfach zu benommen war, um die Angaben in Fuß und Meilen umzurechnen.
Bergsteigen ist wie eine Affäre im Schnelldurchlauf. Die Dinge, die man am anderen zunächst ganz entzückend fand, sind genau diejenigen, die man später an ihm hasst. Am ersten Tag fand ich es charmant, wie Henri seinen Namen aussprach, mit diesem einmaligen französischen Akzent am Wortende, der immer so klingt, als müsste am Ende des Wortes ein Ausrufezeichen stehen (En- RIIIII !) Mittlerweile ging es mir so auf den Wecker, dass ich jedes Mal die Schultern hochzog und wegblickte, wenn jemand seinen Namen sagte. Es unterstrich nur seinen betulichen Charakter, die Art, wie er ständig mit seiner Kamera rumfuchtelte und sein T-Shirt (so gerade eben) in die Hose steckte. Marie hingegen war über die Maßen neugierig. Ständig ihre Fragen! Aber am meisten nervte mich das Bedürfnis der beiden, ständig vorauszurennen. Dabei hatte ich immer gedacht, so ein Verhalten sei eher typisch amerikanisch. Wer wanderte schon auf einen 4200 Meter hohen Gipfel, um für den 5800 Meter hohen am nächsten Tag zu üben? Die waren doch alle bekloppt.
Meine unermüdlichen kanadischen Wandergefährten legten die Strecke quasi joggend zurück, und bis zum Nachmittag hasste ich sie mit der glühenden Intensität von tausend brennenden Sonnen. Der Abstand zwischen uns vergrößerte sich, und ihre Rücken wurden immer kleiner und kleiner – bis ich sie irgendwann zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetschen konnte. Dismas blieb bei mir. »Immer schön pole pole. Das ist die beste Art, mein Zentralbüro zu erreichen.« Er zwinkerte mir zu. Dismas nannte den Gipfel des Kilimandscharo immer sein Zentralbüro. Der Kili hielt uns übrigens nach Strich und Faden zum Narren. Mal sah man den Gipfel nackt vor sich aufragen. Im nächsten Moment hüllte sich der Berg wieder in Wolken, wie eine schamhafte Frau, die sich nach einem One-night-stand in ein Laken wickelt.
»Kili schläft«, sagte Dismas, wenn sich der Berg in Wolken hüllte. Wie schön für ihn , dachte ich griesgrämig. Dann kriegt hier ja wenigstens einer seinen Schlaf .
Drei Stunden nach dem Aufbruch von Horombo erreichten Dismas und ich Zebra Rock. Es war früher nur ein schwarzer Lavafelsen gewesen, aber jahrelanger mineralienreicher Regen hatte die Farbe ausgewaschen, sodass der Stein jetzt weiß gestreift war. Ich musste es zugeben, Zebra Rock bot schon einen tollen Anblick. Betonung auf »Anblick«. Als ich ihn noch bewunderte, bemerkte ich einen erschreckend steilen Pfad, der sich neben Zebra Rock den Berg hochschlängelte. Ich schob die Sonnenbrille nach unten und betrachtete den Weg über den oberen Rand meiner Brillengläser. Dann sah ich Dismas an.
»Moment mal, wir wollen doch nicht wirklich da draufklettern, oder? Das Ding ist doch mehr oder weniger vertikal. Ist das denn überhaupt erlaubt?«
»Es ist wie eine schmale Treppe in den Himmel«, antwortete Dismas verträumt.
»Das ist der Weg in die Hölle, Dismas«, widersprach ich.
»Pole pole, Noelley. Pole pole.«
»Mit Langsamkeit hab ich nicht wirklich ein Problem, für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt haben solltest. Wenn ich noch langsamer gehen würde, würde ich stehen.« Er antwortete nur mit einem Grinsen.
Obwohl der Weg tatsächlich steil war, war es nicht so schlimm wie befürchtet. Ich fand mein Tempo, und meine Atmung regulierte sich. Gruppen mit anderen Wanderern hatten sich auf dem Gipfel versammelt und machten Brotzeit. Ein Typ aus der Kirchengruppe bot getrocknete Mangostreifen an, die ungefähr so aussahen, wie ich mich fühlte.
Als ich nach Horombo zurückkehrte, trafen
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