Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
für meine Arme: entweder gerade neben meinem Körper liegend oder in Tyrannosaurus-Manier vor dem Oberkörper. Es wäre schon Herausforderung genug gewesen, ohne Schlaftabletten in Dinosaurierpose in einem gepolsterten Sarg zu liegen und einschlafen zu wollen. Wenn man jedoch auch in Betracht zog, dass mein Körper noch auf New Yorker Zeit gepolt war, wo es gerade mal ein Uhr mittags war, waren meine Aussichten alles andere als gut. Eine Weile lauschte ich meinem verspielt hüpfenden Herzschlag, der sich an die sauerstoffarme Luft zu gewöhnen versuchte. Dann passte ich meinen Atem den langsamen Atemzügen von Marie und Henri an und hoffte, meinem Körper vormachen zu können, dass ich schon schlief. Da die Hütte keine Fenster hatte, war es so dunkel, dass ich manchmal zu blinzeln vergaß, weil ich nicht wusste, ob meine Augen offen oder geschlossen waren. Ab und zu drehte ich mich um, einfach, um die Monotonie zu durchbrechen.
Eleanor war trotz ihrer High-Society-Erziehung begeisterte Camperin. Im Sommer 1925 unternahm sie mit Nan Cook, Marion Dickerman, ihren Söhnen Johnny (neun) und Franklin junior (elf) sowie zwei Freunden ihrer Söhne eine zehntägige Campingreise nach Kanada. Sie quetschten sich mit zwei Zelten, Kochausrüstung und einem Erste-Hilfe-Koffer in Eleanors siebensitzigen Buick. Unterwegs übernachteten sie auf irgendwelchen Feldern am St. Lawrence River, bis sie nach New Hampshire kamen, sich ein paar Packesel mieteten und die White Mountains bestiegen. Eleanor war immer bereit, auch Unbequemlichkeiten auszuhalten. Nachdem Franklin sich Polio zugezogen hatte, verbrachte er viel Zeit damit, vor der Küste von Florida zu segeln, weil er auf eine heilende Wirkung des warmen Wassers und des milden Klimas hoffte. Da Eleanor in ihrer engen Kabine Klaustrophobie bekam, schlief sie an Deck, obwohl sie sich, umgeben vom offenen Meer, nicht weniger verletzlich fühlte. »Wenn wir in der Nacht ankerten und der Wind ging, fand ich es unheimlich und bedrohlich«, schrieb sie später. »Sämtliche Moskitos von Florida stürzten sich auf mich … Ich bekam so viele Stiche ab, dass ich aussah wie ein schwerer Fall von Pocken.«
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen sein mochte. Drei Minuten? Eine Stunde? Ab und zu hob ich das Handgelenk vors Gesicht und drückte einen Knopf auf meiner Digitaluhr. Die Anzeige leuchtete auf und verbreitete ihr alien-grünes Licht. 22.30 – 1.04 – 1.30 – 2.10 – 3.33. Ich nahm ein Medikament namens Diamox gegen die Höhenkrankheit ein, das Hirn- und Lungenödemen vorbeugen sollte. Es beschleunigte die Akklimatisierung, indem es die Sauerstoffaufnahme ins Blut begünstigte. Außerdem war es aber auch harntreibend, sodass ich im Laufe der Nacht viermal aufstehen und pinkeln musste. Draußen waren es 12 Grad unter Null, und die Gemeinschaftswaschräume lagen fünfzig Meter weit weg, daher erforderten meine Pinkelpausen einige Vorbereitung. Zuerst schlängelte ich mich aus meinem Schlafsack und versuchte, Marie und Henri nicht mit dem Geraschel des Nylonstoffs zu wecken. Dann tastete ich im Dunkeln nach meinem dicken North-Face-Mantel und den Wanderschuhen. Sobald ich alles erfolgreich angezogen und zugebunden hatte, legte ich meine Stirnlampe an – ein elastisches Stirnband mit einer Taschenlampe in der Mitte. Bei einem besonders gruseligen Toilettenbesuch nahm ich ein klackerndes Tiergeräusch wahr, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Als ich auf die Waschräume zuging, kam das Geräusch näher. Vor Angst fing ich an zu traben, und der Schein meiner Stirnlampe wackelte in der Dunkelheit auf und ab. Um halb fünf Uhr morgens warf ich einen letzten Blick auf meine Uhr und döste vor mich hin, bis Dismas uns drei Stunden später weckte.
Am zweiten Tag ließen wir den klaustrophobischen Regenwald hinter uns und betraten ein Gebiet mit leicht geschwungenen Hügeln mit Sträuchern und Heidekraut. Endlich kam auch der kilometerweit entfernte Gipfel des Kilimandscharo in Sicht. Dismas schoss ein Dutzend Fotos von mir und Kili. Später sollte ich entdecken, dass auf 95 Prozent der Bilder mein Quadratschädel den Berg verdeckte. Wir zogen weiter und standen bald im weiten Moorland. Der Übergang von einer Zone zur anderen war so abrupt wie bei den Themenländern in Disneyland: Frontierland, Tomorrowland, Fantasyland und was es da noch so gab. Man hätte eine Linie ziehen können an der Stelle, an der die eine Zone aufhörte und die nächste begann. Die absurde
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