Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
herausfordern?«
»Du bist ganz nah dran«, antwortete er. »Ich gehe dieses Wochenende Käfigtauchen. Haie stehen doch auf der Liste der Ängste, die du überwinden willst, oder?«
Ich zögerte. Haie waren eine uralte Angst, die ich mir zugelegt hatte, als ich 1986 Der weiße Hai ansah. Das Meer, so lernte ich damals, war voller Bestien, die zu musikalischer Untermalung wahllos töten. Skeptisch klickte ich auf den Link, den Bill mir geschickt hatte. Es war eine Website für ein Käfigtauch-Unternehmen namens Happy Manatee Charters. An diesem Wochenende fand eine zweitägige Expedition statt: Das Boot fuhr am Freitagmorgen los und kam am späten Samstagnachmittag zurück.
Seitdem ich vor drei Wochen mit dem Trapez den ersten Schritt gemacht hatte, hatte ich mich getreu meiner Mission jeden Tag einer Angst gestellt. Aber es waren kleine Siege, Dinge, die ich früher unter den Tisch hätte fallen lassen – aber eben nicht mehr, seit ich unter dem Regiment von Eleanor stand. So hatte ich zum Beispiel meinen Lachs im Sushi-Restaurant zurückgehen lassen, weil er zu stark »fischelte«. Ich hatte meine Kreditkartenfirma angerufen und um eine Senkung meines Zinssatzes gebeten, und nachdem ich mit vier verschiedenen Abteilungsleitern gesprochen hatte, wurde meiner Bitte tatsächlich entsprochen. Matt und ich waren zu einem ausverkauften Film gegangen und freuten uns, im vollbesetzten Kino noch eine Reihe zu finden, die komplett leer war, bis auf einen einzelnen Collegeschüler in der Mitte. Offenbar war er als Vorhut für seine weniger pünktlichen Freunde geschickt worden, denn als wir uns hinsetzten, rief er selbstgefällig: »Hey, Kumpel, die ganze Reihe ist besetzt.« Erst drehten wir ab, um die Saaltreppe doch noch weiter hochzugehen und uns andere Plätze zu suchen, doch dann blieb ich stehen.
»Jetzt nicht mehr!«, erklärte ich. Ohne den wild protestierenden Typen zu beachten, ließ ich mich auf einen der verbotenen Plätze fallen und zog Matt auf den Sitz neben mir. Früher hätte ich mich davongeschlichen und eine Weile innerlich gekocht. Das Ganze war nervenaufreibend, aber berauschend.
In den letzten Wochen war mir klar geworden, dass ich mein Experiment praktisch angehen musste. Wenn ich es ein ganzes Jahr lang schaffen wollte, durfte nicht jede meiner Herausforderungen so aufwändig und teuer wie die Trapezstunden ausfallen. Ich musste mich auch kleineren Ängsten stellen. Als ich anfing, darauf zu achten, merkte ich erst, wie oft ich Konfrontationen aus dem Weg ging. Und die ganze Zeit hatte ich mir eingeredet, das sei ein Zeichen von Reife. War es denn nicht kindisch, einen Aufstand wegen Kleinigkeiten zu machen? Jetzt wurde mir klar, dass ich in diesen Situationen immer nur Angst gehabt hatte, jemandem auf den Schlips zu treten. Aber wenn ich bei solchen Kleinigkeiten keinen Widerstand leisten konnte, wie sollte ich dann den Mut finden, wenn es wirklich um Wichtiges ging? Für sich selbst einzustehen konnte noch beängstigender sein, als auf einer zwei Stockwerke hohen Plattform zu stehen.
Ich fühlte mich noch nicht bereit, den Haien gegenüberzutreten. Es war nur noch einen Monat Sommer, und ich hatte eigentlich gehofft, die Haie aufschieben zu können bis zum nächsten Frühjahr, sodass ich langsam darauf hinarbeiten könnte. Aber vielleicht war Bills Mail ein Zeichen, dass die Zeit für die nächste große Herausforderung gekommen war. Außerdem wäre jedes Aufschieben nur wieder eine Gelegenheit, die Konfrontation zu vermeiden. Und wie sagte Eleanor so schön: »Die Dinge, die man nicht tut, können ebenfalls zerstörerisch wirken.«
Scheiß drauf . »Ich bin dabei«, mailte ich zurück.
Am Donnerstagnachmittag bestieg ich den Zug, der mich in drei Stunden nach Greenport, Long Island, bringen würde, wo am nächsten Morgen das Boot The Manatee ablegen sollte. Als ich ankam, checkte ich in einem billigen Motel ein und rief Bill an.
»An der Wand in meinem Badezimmer ist ein Flaschenöffner angebracht. Na, neidisch?«
»Das Zimmer weiß offensichtlich, was dir morgen bevorsteht«, meinte er. »Tut mir leid, dass ich dir nicht beim Benutzen helfen kann.«
Bill war einer von zwei Gastgebern einer abendlichen Talkshow und konnte sich am Freitag nicht freinehmen. Sowie die Sendung vorbei war, wollte er in ein Mietauto springen und am späten Freitagabend auf Martha’s Vineyard zu uns stoßen.
»Ich freu mich schon, dich mal wiederzusehen, Hancock«, sagte er. »Wie lang ist das jetzt her?
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