Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
verschiedene beängstigende Sachen machen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das Zitat verlangt nur, dass ich jeden Tag etwas machen muss. Es muss nicht unbedingt jeden Tag etwas Neues sein. Aber eines haben wir heute ja wohl gelernt, nämlich dass die Dinge nicht weniger furchteinflößend werden, bloß weil man sie einmal gemacht hat.«
»Trotzdem«, wandte Jessica ein. »Willst du wirklich jeden Tag so eine Scheißangst spüren? Ich weiß ja nicht, ob ich das ein ganzes Jahr durchhalten könnte.«
Als sie das sagte, befiel mich ein neuer Gedanke. Ich hatte mich so sehr darauf konzentriert, diesen einen Tag zu überstehen, dass ich gar nicht überlegt hatte, wie es sich anfühlen würde, das Tag für Tag für Tag zu wiederholen. Mit einem Blick auf mein Handy stellte ich fest, dass es 22 Uhr war. Nur noch neun Stunden, dann würde ich aufwachen und mich meinen Ängsten von Neuem stellen müssen. Ich schluckte, sagte aber nichts. Ich war auch nicht sicher, ob ich das durchhalten würde.
3. K APITEL
Rückblickend kann ich sagen, dass ich
mich immer vor irgendetwas gefürchtet habe:
vor der Dunkelheit, vor unangenehmen
Leuten, vor dem Versagen. Bei allem,
was ich leistete, musste ich immer erst die
Hürde meiner Angst überwinden.
Eleanor Roosevelt
S oso, dann will sich meine Tochter mit dem Eliteuni-Abschluss also dem Zirkus anschließen?« Seine Stimme am Telefon war scherzhaft, aber besorgt.
Ich stöhnte innerlich. »Hallo, Papa.« Ich wusste, ich hätte ihm die Fotos von der Trapezschule nicht mailen sollen. Dieser Mann hatte eine Kaffeetasse mit dem Spruch: Manchmal hat es seine guten Gründe, dass ein Weg weniger begangen ist . Doch meine Eltern hatten so skeptisch auf mein ganzes Projekt, mein Jahr der Angst, reagiert, dass ich dachte, die Absurdität meiner Trapezstunden könnte sie etwas auftauen lassen.
Ich hörte im Hintergrund das Rascheln von Papier und wusste, dass mein Vater das konservative, wirtschaftsliberale Wall Street Journal durchblätterte, wie jeden Tag der letzten fünfundzwanzig Jahre. (Als er herausfand, für welche Zeitung Matt schrieb, meinte mein Vater leicht verschnupft: »Na, ich kann nur hoffen, dass er nicht zu diesen elitär-liberalen Verrückten gehört, die massenweise für diese Zeitung schreiben. Weißt du, ich mag das Wall Street Journal gerade deswegen, weil sie da nicht parteiisch sind.«)
»Erwisch ich dich gerade zu einem schlechten Zeitpunkt?«, fragte er. »Trainierst du gerade für deinen Auftritt bei Holiday on Ice?«
»Ich sitze in einem Café und arbeite an einem Artikel für eine Zeitschrift.«
»Hast du noch mal über das Jurastudium nachgedacht?«, bohrte er. Klar, da war Vatern wieder in seinem Element. »Dann hättest du wirklich einen sicheren Job. Und könntest pro Stunde 300 Dollar in Rechnung stellen.«
»Und würde vor Langeweile sterben, das wäre doch das Tüpfelchen auf dem i.« Mit meiner freien Hand begann ich meine Schläfe zu massieren, um die Kopfschmerzen abzuwenden, die dieser Debatte grundsätzlich folgten. Mein Vater war Geschäftsmann und hatte sich auf Glasfasertechnik spezialisiert, was auch immer das sein mochte. Als ich noch klein war, nahm er mich oft mit ins Büro, um mich an das Firmenleben zu gewöhnen. Meistens verbrachte ich dann Stunden damit, mein Gesicht zu kopieren. Sowie ihm klar wurde, dass ich fürs Geschäft nicht geboren war, verlegte er sich auf die Idee, dass ich Rechtsanwältin werden sollte, und daran hielt er nun schon seit zwei Jahrzehnten fest.
»Tja, ich glaube, du solltest dir überlegen, aus dieser Stadt wegzuziehen und heimzukommen, nach Texas.« Meine Eltern betrachteten mein Leben in New York immer noch wie eine dumme Laune oder vielleicht ein Auslandsstudium. Ich merkte, wie sie nur darauf warteten, dass ich in mein »richtiges Leben« zurückkehrte.
»New York ist mein Zuhause«, sagte ich fest.
»Na ja, aber doch ein schrecklich teurer Ort, wenn man keinen Vollzeitjob hat. Wie viel bezahlst du denn mittlerweile für dein Apartment?«
»Mach’s gut, Papa.«
Ich legte meinen Kopf auf die Tastatur und schlug ein paarmal mit der Stirn darauf, sodass jfkdjfkdjflkdjfdlkfdlksjfdlsjf auf dem Bildschirm erschien. Als ich die Buchstaben gerade löschen wollte, sah ich, dass eine Mail von meinem Freund Bill gekommen war. Sie enthielt nur eine Zeile: »Willst du dieses Wochenende mit mir in den Käfig steigen?«
»Wie bitte?«, schrieb ich zurück. »Willst du mich zu einem Schaukampf im Käfig
Weitere Kostenlose Bücher