Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
sich ihre antisemitischen Ansichten, da sie enge Freundschaften zu mehreren Juden aufbaute. Obwohl sie diesen Sinneswandel nie öffentlich kommentierte, dachte sie vielleicht daran, als sie zwanzig Jahre später festhielt: »Je enger der Kreis deiner Freunde, umso enger der Horizont deiner Interessen. Es gehört zu den wichtigsten Entscheidungen in der persönlichen Entwicklung eines Menschen, den Kreis seiner Bekanntschaften zu erweitern, wann immer es möglich ist.« Aufgrund dieser Freundschaften wurde sie eine der engagiertesten Verfechterinnen jüdischer Anliegen. Sie betrieb Lobbyarbeit, damit der Kongress die Einwanderungsgesetze für asylsuchende Juden liberaler machte, und als sie keinen Erfolg hatte, hielt sie eine öffentliche Strafpredigt über die Gesetzgeber.
»Was ist nur mit diesem Land passiert?«, schimpfte sie in ihrer Zeitungskolumne. »Wenn wir unsere Geschichte genau studieren, entdecken wir, dass wir immer bereit waren, die glücklosen Menschen aus anderen Ländern aufzunehmen. Obwohl das auf den ersten Blick wie eine großzügige Geste unsererseits aussehen mag, haben wir tausendfach von dem profitiert, was diese Leute uns mitbrachten.« 1947 forderte sie einen jüdischen Staat, der mit Israel zur Realität werden sollte. »Es reicht nicht, bloß über den Frieden zu reden«, schrieb sie einmal. »Man muss an ihn glauben. Aber es reicht auch nicht, an ihn zu glauben. Man muss daran arbeiten.« Ich war immer noch verschnupft wegen ihrer antisemitischen Kommentare, aber irgendwie hatte ich jetzt auch wieder mehr Respekt vor ihr. Es ist eine Sache, wenn man versucht, die Meinung anderer Leute zu ändern, aber sie war bereit, auch ihre eigene Meinung zu ändern.
An meinem dritten Tag wurde ich langsam wahnsinnig. Der Regen machte jeden Ausflug unmöglich. Die Mahlzeiten stellten die aufregenden Höhepunkte des Tages dar. Und ich freute mich jeden Abend unbändig darauf, meine Kamin-Disco anzuwerfen. Mein Zitat lautete: » Tu jeden Tag etwas, was dir Angst macht.« Aber nichts zu tun war noch viel schwerer.
Nach dem zeremoniellen Einschalten des Kamins beschloss ich, eine der Strategien zu testen, die mir Dr. Bob empfohlen hatte, um herunterzufahren und mich aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren. »Fangen Sie an, die Sorgen in Ihrem Leben zu isolieren«, hatte er geraten. »Richten Sie sich am Nachmittag eine halbe Stunde nur fürs Sorgenmachen ein, in der Sie alles aufschreiben, was Ihnen Sorgen bereitet. Jeden Tag widmen Sie diese halbe Stunde – und eben nur diese halbe Stunde – exklusiv ihren Sorgen. Legen Sie sich Zettel und Stift neben das Bett. Sobald Sie anfangen, sich Sorgen zu machen, wenn Sie eigentlich gerade einschlafen wollen, schreiben Sie die konkrete Sorge kurz auf und beschäftigen sich erst am nächsten Tag in Ihrer ›halben Stunde Sorgenmachen‹ mit ihr.«
»Aber werde ich mir denn nicht noch mehr Sorgen machen, wenn ich mir richtig Zeit zum Sorgenmachen nehme?«, hatte ich gefragt.
»Ganz im Gegenteil. Es wird Ihnen vorkommen, als wären Ihre Sorgen auf einmal viel leichter zu bewältigen. Sie werden merken, dass Sie gar nicht so viele haben, wie Sie dachten. Sie haben nicht hundert verschiedene Sorgen – es sind dieselben fünf, die sich immer und immer wiederholen. Nach einer Weile werden sie Sie wahrscheinlich sogar langweilen. Und sobald man von etwas gelangweilt ist, verliert man das Interesse daran.«
Außerdem ist das schriftliche Festhalten von Sorgen nützlich, weil man sich die Aufzeichnungen später ansehen kann und den Beweis in der Hand hat, wie unproduktiv es ist, sich Sorgen zu machen.
»Man hat Untersuchungen angestellt, in denen die Leute gebeten wurden, zwei Wochen lang ihre Sorgen aufzuschreiben und vorherzusagen, was passieren wird – und wie sich herausstellte, waren 85 Prozent der Befürchtungen unbegründet«, hatte Dr. Bob mir erzählt. »Was sagt Ihnen das?«
»Dass es in den meisten Fällen nichts gibt, wovor man Angst haben müsste.«
»Genau.« Er sah mich triumphierend an.
Ich setzte mich also im Schneidersitz aufs Bett, nahm mir einen Notizblock und begann zu schreiben: »Ich mache mir Sorgen, dass sich mein Fallschirm nicht öffnet, wenn ich in ein paar Wochen zum Skydiving gehe. Ich mache mir Sorgen, dass ich mit meinem Comedy-Auftritt ganz schrecklich baden gehe. Ich mache mir Sorgen, dass mir der Kilimandscharo ganz gewaltig heimleuchten wird. Ich mache mir Sorgen, weil ich immer noch keinen Vollzeitjob gefunden habe. Ich mache
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