Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
Dinge zu klammern und auf sie zu reagieren.
Das Leben war voll mit Dingen, die mich provozierten – Staus und Computerprobleme, schreiende Babys im Flugzeug, nervende Kollegen –, und wann immer ich mit so etwas konfrontiert war, regte ich mich unweigerlich auf. Ich bildete mir ein Urteil über das, was da geschah (»Dieses Baby ist so nervig!«, »Ich kann es nicht glauben, dass die U-Bahn schon wieder Verspätung hat!«). Und wenn ich mir wegen irgendetwas Sorgen machte, klammerte ich mich übermäßig an diesen Gedanken und behandelte meine Sorge als etwas, dem ich meine Aufmerksamkeit widmen musste, bis das Problem gelöst war. Achtsamkeitsmeditation würde meinen Geist darauf trainieren, auf diese alltäglichen Stresssituationen nicht zu reagieren, sondern sie einfach an mir vorbeiziehen zu lassen.
Wenn sich beim Meditieren Gedanken in mein Bewusstsein drängten, sollte ich sie zur Kenntnis nehmen, aber weder darauf reagieren noch Emotionen damit verbinden. Wenn mich bei der Meditation beispielsweise ein Geräusch ablenkte (eine Autohupe etwa), sollte ich das Geräusch wahrnehmen, aber gleich wieder loslassen. Ich musste mich einfach wieder der Beobachtung meiner Gedanken zuwenden. Wenn mir eine Sorge in den Sinn kam, sollte ich ihr nicht weiter nachgehen oder versuchen, sie zu lösen oder vorauszusagen, wie sehr das Problem meine Zukunft beeinflussen wird. Stattdessen musste ich den Gedanken einfach zur Kenntnis nehmen, ohne ihn weiter zu verfolgen. Die Achtsamkeitsmeditation lehrt einen, sich von den eigenen Sorgen zu lösen und sich nicht weiter mit ihnen zu beschäftigen. Wie ein Journalist, der über einen emotionalen Fall berichtet, dabei aber unparteiischer Beobachter bleibt, statt sich gefühlsmäßig hineinziehen zu lassen.
Die kluge alte Dame Eleanor wusste, wie wichtig ein ruhiger Geist ist. »Ich kenne viele Leute, denen es unmöglich ist, irgendetwas zu tun, wenn es um sie herum nicht absolut still ist«, schrieb sie. »Das muss daran liegen, dass sie nie gelernt haben, innere Ruhe zu finden, eine Oase des Friedens in sich selbst.«
Der Gedanke an Eleanor erinnerte mich prompt wieder an ihre antisemitischen Bemerkungen, und ich schob den Gedanken an sie schaudernd beiseite. Ich rutschte auf meinem Bett zurück, bis ich ganz aufrecht am Kopfteil lehnte. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit ganz auf meinen Atem, wie Dr. Bob es mir beigebracht hatte. Ich beobachtete einfach, wie ich Luft holte, und machte dabei keinen Versuch, kontrollierend einzugreifen. Nach ein paar Minuten merkte ich, wie ich mich im Zimmer umsah. Meine Augen fielen auf den Flachbildschirmfernseher. Mir fehlt das Fernsehen. Heute Abend kommt die neue Folge von Law & Order . Obwohl ich ja sagen muss, die arrogante neue Assistentin des Staatsanwalts mag ich gar nicht. Und die Rechtsmedizinerin hat sich eine total lächerliche Haartönung machen lassen .
Als ich bemerkte, dass meine Gedanken abschweiften, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Atem. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Moment mal, hab ich Jessica eigentlich Bescheid gesagt, dass sie meine Sittiche füttern soll? Und hoffentlich vergisst Mama nicht, dass ich diese Woche Schweigeexerzitien mache und sie deswegen nicht zurückrufen kann. Wahrscheinlich denkt sie, dass ich bei einer meiner Angstbewältigungsaufgaben ums Leben gekommen bin. Nein, nein, nein, schimpfte ich mich selbst. Du sollst doch meditieren. Ich konzentrierte mich ein, zwei Minuten wieder ganz auf meinen Atem, und dann bekam ich auf einmal Herzklopfen . Ich kann nicht glauben, dass ich immer noch so viele Angstprojekte vor mir habe! Und langsam wird die Zeit echt knapp! Mir wird die Energie ausgehen, bevor ich mit allen durch bin! Moment, was tue ich hier eigentlich gerade? Ach, das haut einfach nicht hin.
Mir wurde klar, dass es nicht die technischen Geräte waren, die mich die ganze Zeit abgelenkt hatten. Ich selbst hatte mich abgelenkt. Mein BlackBerry, mein PC und mein Fernseher waren nur die Hilfsmittel, die ich benutzte, um mich von meinen Sorgen abzulenken – genauso wie ich Schlaftabletten benutzte, um meinen Sorgen in der Nacht zu entkommen. Ich beschloss, für heute Schluss zu machen und es am nächsten Tag noch einmal mit der Aufmerksamkeitsmeditation zu versuchen.
Meine Augen wanderten zu Eleanors Buch, das neben mir auf dem Bett lag. Seufzend schlug ich es wieder auf. Selbstverständlich enttäuschte Eleanor mich letztlich doch nicht. In den Vierzigerjahren verflüchtigten
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