Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Sie senkte die Stimme, noch immer wütend.
»Hast du der Frau erzählt, wo du hinfährst?«
Heike sah sie verunsichert an. Langsam schüttelte sie den Kopf.
»Ich hab nur ganz allgemein Westdeutschland gesagt.«
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Emma um und ging zurück zum Eingang. Heike stapfte hinter ihr her, den Mund trotzig verzogen. Sie holten August, der sich nur ungern von dem Fernseher trennte, und gingen zum Besucherparkplatz. August kletterte hinten in den Wagen, Heike setzte sich auf den Beifahrersitz, und Emma startete das Auto. An der Schranke sah sie starr nach vorn. Als jemand hinter ihr hupte, schrak sie zusammen. Die Schranke war offen. Emma machte einen Satz nach vorn und hätte fast eine Fußgängerin gerammt. Erschrocken schimpfte die Frau in ihre Richtung. Emma gab Gas. Es war voll geworden, Emma sah müde Gesichter, Berufstätige, vermutete sie, die gleich nach Büroschluss ins Krankenhaus fuhren. Am Zebrastreifen hielt sie, eine Frau mit drei Kindern ging vor ihnen über die Straße. Ohne sich zur Seite zu drehen, fragte Emma:
»Der Pastor war euer Vormund, hat er mir erzählt. Das heißt, solange du noch nicht volljährig warst.«
Keine Reaktion. Jetzt warf Emma doch einen schnellen Blick nach rechts. Heike wies mit dem Kinn nach vorn.
»Jetzt ist frei.«
Emma gab Gas und fuhr vom Krankenhausgelände auf die Landstraße.
»Der Bürgermeister hat mir mal erzählt, dass der Pastor ganz schön schwierig war. Ein Querulant. Fandest du das auch?«
Wieder Stille. Dann seufzte die jüngere Frau, drehte sich zum Fenster und sagte bestimmt in abschließendem Tonfall:
»Er hat sich gut um uns gekümmert.«
Emma beließ es dabei. Eine Weile fuhren sie schweigend weiter. Draußen wurde es dunkel, und es hatte wieder zu regnen angefangen. Emma kniff ein wenig die Augen zusammen, die Sicht war schlecht. Sie war müde, und ihr Kopf schmerzte, sie hatte vergessen, sich Tabletten in der Krankenhausapotheke zu besorgen. Bilder stürmten auf sie ein, Heike aufgelöst im Pfarrhaus, der Pastor blutend auf dem Boden und August, der kerzengerade in der Kapelle saß und auf das Kreuz schaute. Ihr Bild im Internet. Ob Schmitz das veranlasst hatte? Wo war er – lebte er noch? Als Online-händler wusste er sicher, wie er sich als Absender verbergen konnte. Vermutlich hatte er Lukas getötet. Und Heike versteckte sich jetzt im Westen.
An der Autobahnauffahrt wurde gebaut. Emma drosselte das Tempo. Die roten Warnlichter leuchteten durch den trüben Spätnachmittag. Heike murmelte etwas. Emma beugte sich leicht zu ihr rüber. »Was hast du gesagt?«
»Hoffentlich lebt Rocco noch.«
»Komisch, das hab ich auch gerade gedacht.«
Heike sah sie von der Seite an, ein kleines Lächeln. Emma fragte:
»Wollte Rocco denn immer noch weiterdealen? Obwohl das mit deinem Bruder Marlon passiert war?«
Heike schwieg eine Weile. Die Scheibenwischer quietschten. Emma stellte sie auf Intervall. Heike sagte leise:
»Das war eben sein Geschäft.« Sie sah wieder aus dem Fenster.
»Das alles war ein Riesenunfall. Daran hatte keiner Schuld. Marlon hat doch nie Drogen genommen.«
Na klar, und Elvis auch nicht, dachte Emma. Sie meinte leise:
»Aber August hat mir das Crystal gezeigt. Er hat es in Marlons Zimmer gefunden.«
Heike seufzte. Sie warf einen Blick auf die Rückbank, drehte sich dann aber wieder nach vorn. »Ich weiß nicht, wie das Zeug in sein Zimmer kam. Ich hab ihn nie so erlebt. So – wie die anderen. Er war anders. Er wollte immer nur weg.«
August gab ein Geräusch von sich. Emma drehte sich rasch um. Er zog die Beine an, legte sich auf die Rückbank und schloss die Augen. Emma drehte sich wieder nach vorn und fragte etwas leiser:
»War Rocco in der Nacht bei Lukas?«
Wieder schwieg Heike lange. Emma überholte einen Laster, der nah an der Mittellinie fuhr. Als sie die Spur wechselte, sagte Heike:
»Rocco war schon seit Tagen schlecht drauf. Erzählt hat er nix. Als wenn die mir was erzählen.«
»Und in der Nacht?«
»Er war stinksauer.«
Heike versuchte ein Grinsen.
»War geblitzt worden. Der hat schon zweimal den Führerschein weg, so für einen Monat und so. Das wär echt mal ein Ding, wenn der nicht mehr fahren darf.«
»Hat er erzählt, was passiert ist?«
»Nee, Quatsch.«
Die Straße war jetzt frei. Emma blieb rechts, während links von ihr die Autos aufheulten und Vollgas gaben. Heike drehte an ihren Ringen. Ihre Hände hielt sie im Schoß verknotet.
»Ich bin wach geworden. Rocco
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