Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
genug auf ihn aufgepasst.«
Emma seufzte und strich ihm über den kahlen Kopf. »Du bist nicht schuld, August. Erwachsene machen manchmal komische Dinge.«
»Aber er war doch noch gar nicht richtig erwachsen.«
Er drehte sich wieder um und starrte nach vorne. Keine Träne fiel, aber seine Unterlippe zitterte. Emma streichelte seine Hand. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Heike kam auf sie zu. Sie kniete sich neben August vor die Bank und sprach leise mit ihm.
»Komm jetzt, wir müssen hier weg.«
August wandte den Kopf und sah zu Emma. »Ich muss Burschi holen.«
Emma stand auf.
»Das geht nicht, August. Du kannst ihn nicht mitnehmen.«
Er wollte etwas sagen, aber Heike meinte schnell:
»Ich ruf die Frau Adam an, okay? Die hat ihn doch schon öfter genommen.«
Er nickte langsam. »Du, Heike«, er zog die Nase hoch, »ich hab ganz doll Hunger.«
Emma stand auf und meinte:
»Komm, wir beide essen was in der Kantine. Und deine Schwester ruft jetzt diese Frau an, die sich um Burschi kümmern soll.«
Sie zog ihn mit sich, und alle drei verließen die Kapelle. Emma und August folgten den Schildern zur Krankenhauskantine, Heike steuerte den Ausgang an. Emma wollte ihr noch etwas sagen und wäre beinahe mit einer Krankenbahre zusammengestoßen, die ein Pfleger schwungvoll aus dem Aufzug rollte. Ein älterer Mann lag darauf, der mit glasigem Blick an die Decke schaute. Er erinnerte Emma an ihren Vater. Wortlos starrte sie den Mann an, alte Bilder stiegen in ihr auf. Noch aus dem Krankenhaus heraus hatte ihr Vater versucht, sich mit seiner Frau zu versöhnen. Aber Helene hatte sich nicht überwinden können, ihm die Hand zu reichen. Emma starrte noch immer den Mann auf der Bahre an, sie schluckte an einem Kloß im Hals. Damals war sie auf Helenes Seite gewesen. Heute machte sie diese Härte wütend. Sie hatte ihren Vater vermisst und es sich aus Loyalität zur Mutter versagt, traurig zu sein. Und dann war ihr Vater gestorben.
Der Pfleger grinste sie an, als er das Bett an ihr vorbeirollte. August zupfte an ihrem Ärmel. »Komm, Emma!« Sie nickte.
In der Kantine wollte er Würstchen und Pommes und hinterher ein Eis. Sie versprach es ihm und trug das Tablett an einen Tisch, von dem aus er den kleinen Fernseher in der Mitte des Raumes im Blick hatte.
Mechanisch löffelte sie ihre Suppe, während August die Pommes in sich hineinstopfte, den Blick fest auf den Fernseher gerichtet. In ihrer Tasche surrte das Handy. Nachrichten, die über die Arbeitsadresse geschickt wurden, hatte sie mit dem akustischen Signal gekennzeichnet. Sie schob die halbleere Suppentasse von sich und zog das Telefon heraus.
Die Mail war von Bente, nur ein Gruß und der Link. Emma öffnete ihn. Ein schlechtes Foto von ihr baute sich auf. Sie stand auf dem Gemeindeplatz in Hofsmünde, neben ihr war noch der blaue Anorak von August zu sehen. Sie kniff die Augen zusammen und schien gerade etwas über den Platz zu rufen, vermutlich zu Schmitz und seinen Freunden. Sie sah ängstlich und wütend aus. Der Blogger hatte sie als linke Zecke benannt, der man es mal richtig besorgen müsste. »Also Jungs, wer gerade in der Nähe ist – tut uns den Gefallen!!!« Darunter standen ihr vollständiger Name und ihre Adresse. Emma schluckte und besah sich den Link genauer. Der Blog wirkte harmlos, angepriesen als Ort der wertkonservativen Diskussion. Im Impressum stand ein Vereinsname aus Sachsen.
Emma klickte das Bild weg und fasste das Telefon mit beiden Händen. Sie hatte auf einmal das Gefühl, sie brauche frische Luft. Abrupt stand sie auf und sagte: »Ich schau mal eben, wo Heike bleibt.« August hob nicht den Kopf. Emma verließ in großen Schritten die Kantine. Draußen vor der Tür des Krankenhauses sog sie gierig die kalte klare Luft ein. Heike lehnte an einem Pfeiler und telefonierte. Sie wirkte entspannt und lachte in den Hörer. Als Emma näher kam, hörte sie sie sagen: »So viel andere Geschäfte haben die da auch nicht. Das gibt’s doch längst auch alles bei uns. Aber wenn ich was sehe, dann…«
Emma riss ihr wütend das Handy aus der Hand und machte es aus. Erschrocken sah Heike hoch, dann fauchte sie halblaut:
»Spinnst du? Kannst du mir mal sagen, wieso du…«
»Dein Freund ist entführt worden, du sollst in Sicherheit gebracht werden, und dann stehst du hier und erzählst was von Klamottenläden, oder was?«
Emma merkte, dass sie zu laut sprach, ein paar der Krankenhausgäste sahen neugierig zu den beiden Frauen herüber.
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