Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Redaktion BerlinDirekt
I m Einkaufszentrum, in dessen Dachgeschoss sich die Radiostation befand, war Samstagnachmittagsbetrieb. Menschen schoben sich schwitzend mit riesigen Einkaufstüten aneinander vorbei, Kinder plärrten und wurden weitergezogen, penetrant gutgelaunte Popsänger schallten aus den Boxen in den Läden.
Emma blieb auf der Rollstreppe stehen, stellte ihre schwere Tasche zwischen die Beine und strich sich das Haar zurück. Eigentlich hatte sie heute zum Frisör gehen und vielleicht ein paar Sachen zum Anziehen einkaufen wollen. Im Grunde war sie erleichtert, dass ihr das jetzt erspart blieb. Sie hatte noch nie verstanden, dass manche Menschen das freiwillig und ohne größere Notwendigkeit machten.
Sie spürte die vertraute Erregung, die sie am Anfang eines Falles überkam – wer war dieser Lehrer, warum war er getötet worden? Eine Frau vor ihr auf der Treppe lachte schrill, der Drogeriemarkt posaunte Sonderangebote heraus. Emma atmete auf, als sie im Dachgeschoss die schwere Tür zur Station öffnete und den Lärm hinter sich lassen konnte.
Sie grüßte den Pförtner, der nur kurz von seiner Zeitschrift hochschaute, ihr zunickte und den Summer drückte. Der lange Flur zu den Redaktionsräumen war leer. Emma ging zu ihrem Platz in der Großredaktion, warf ihre Jacke über den Stuhl und fuhr den Computer hoch. Im Grunde gab es keine fest zugewiesenen Arbeitsplätze, die Reporter und Redakteure sollten sich je nach Dienst zusammensetzen, um an den entsprechenden Tischgruppen, sogenannten Inseln, das Programm zu planen. Emma boykottierte das, wie alle ständigen freien Mitarbeiter. Sie setzte sich einfach immer wieder an den Platz, den sie sich ausgesucht hatte, und vertrieb mit freundlichem Lächeln und Beharrlichkeit andere Nutzer. Bei Sebastian, dem Redaktionsassistenten, hatte sie eine helle Schreibtischlampe und eine Berlinkarte beantragt und ihren Platz zum Zentrum der Polizeiredaktion ernannt.
Emma nahm ihren Block und ging rüber in die Sendezentrale. Susanne, die Wochenendredakteurin, saß am Regiepult. Als Emma die schwere Studiotür geöffnet hatte, warf sie ihr grüßend einen Blick über die Schulter zu, drehte sich dann wieder um und hörte weiter dem Nachrichtensprecher zu, der gerade die 15:30-Uhr-Meldungen verlas. Emma setzte sich in das schwarze Ledersofa für die Studiogäste und wartete. Der Sprecher war schon beim Wetter angelangt. Gleich kam die Schalte zur Verkehrsbeobachtung, dann der Jingle, die Begrüßung durch den Moderator und die erste Musik. Das alles folgte dem immergleichen Sendeschema, jeder Beteiligte kannte die Schritte, und die dafür notwendigen Regler auf dem Mischpult und alles, bis hin zu dem kleinen Versprecher, an den der Moderator einen Witz knüpfen konnte, lief nach Programm. Als PJ Harvey ihr Lied anstimmte und das rote Licht im Studio erlosch, drehte sich Susanne wieder zu Emma um.
»Es gibt eine Agenturmeldung, die ist aber mager. Hier, ich hab sie dir ausgedruckt. Mach bitte ein Update für die Meldungen um voll. Hast du genug für einen Beitrag?«
Emma nahm den Zettel entgegen und schaute oben auf die Uhrzeit. Er war von vor einer Stunde.
»Du brauchst mir keine Meldungen auszudrucken, ich muss sowieso aktuell in die Agenturen gucken. Und ein Beitrag klappt schon noch, aber höchstens eine Minute. Für 16:10?«
Die Redakteurin drehte sich wieder auf ihrem Stuhl und schaute in ihre Sendepläne. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Da haben wir ein Live-Gespräch. Also 16:40.«
Emma nickte, zögerte und sagte dann:
»Warum hast du eigentlich den Ü-Wagen geschickt? Ich hatte doch gesagt, …
»Ich glaube, das kannst du draußen nicht einschätzen.« Susannes Stimme klang unerwartet scharf, Emma sah sie erstaunt an. Die Redakteurin drehte sich mit Schwung wieder zu ihr.
»Da steckte einfach zu viel drin. Nachher berichten alle, und wir sind auf dem Nachbarschaftsfest, oder was?«
»Aber ich war ja vor Ort, ich hätte …«
»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, da musst du schon tun, was ich für richtig halte.«
Susanne lächelte kurz.
»Dafür sind wir schließlich da, oder?«
Emma starrte sie an. Eine unangenehme Stille lag im Raum. Andreas, der Nachrichtenmann, trat aus dem Sendestudio. Emma schaute erleichtert hoch, stand schnell auf und lächelte ihm entgegen. Er hielt ihr die Tür zum Flur übertrieben höflich auf. Emma deutete einen Knicks an und ging vor ihm durch die Tür.
An ihrem Platz im Büro spielte sie die Töne der
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