Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
gibt man trotzdem nicht gerne auf, was, Eichwald? Wo wärst du denn ohne uns?«
Christian Eichwald schluckte.
»Ich habe viel für die Gemeinde getan. Ich habe …«
Seine Worte gingen im Gelächter des Alten unter. Er verstummte. Blattner blinzelte ihn wütend an.
»Du bist und bleibst eine Ameise, und wenn wir wollen, zertreten wir dich.«
Er lehnte sich wieder zurück.
»Die Polizei weiß von den Drogengeschäften. Und sie haben die Unterlagen. Wenn sie das Zeug finden, können sogar sie eins und eins zusammenzählen. Wir müssen die Drogen vor ihnen finden.«
Blattner schwieg. Er stierte vor sich auf den Schreibtisch, als sei er kurz vorm Einschlafen. Eichwald holte Luft und spielte erneut mit dem Brieföffner. Er sagte gedankenverloren wie zu sich selbst:
»Mein Vater hat nach dem Krieg für die britische Rheinarmee gearbeitet. Hast du das gewusst?«
Eichwald schüttelte den Kopf, aber Blattner sah ihn nicht an.
»Als Fahrer! Er durfte seine geliebte Uniform nicht mehr tragen. Jeden Tag fuhr er diese angebliche Siegermacht. Er hat es gehasst, aber er hat es getan, für mich und meine Mutter. Und er hat sich genau gemerkt, wer zu denen nach hinten ins Auto stieg.«
Der Alte schwieg. Eine unbehagliche Stille machte sich breit. Dann sah er auf und lachte.
»Du solltest dir eine Frau suchen, Eichwald. Ein Kerl, groß und blond wie du! Du kannst das Kinderkriegen doch nicht den Kanaken überlassen!«
Eichwald presste die Lippen zusammen und sah weg. Blattner schien es nicht zu bemerken. Mit einem Seufzer stand er auf. »Lukas war für die Sache, aber er hat uns geschadet. Die Partei und Drogengeschäfte, das darf nicht an die Öffentlichkeit. Du sorgst mir dafür.«
Eichwald schluckte. »Wie soll ich dir garantieren, dass die Polizei nicht doch noch das Zeug findet, ich habe …«
Blattner hob seine Hand mit dem Stock, als wischte er einen ärgerlichen Einwand beiseite.
»Geh zu Lukas’ Freundin. Das ist doch eine vernünftige Person. Ich bin sicher, dass er ihr das Versteck verraten hat.«
Eichwald blieb stumm. Blattner sagte:
»Nach der Wahl wird vieles anders. Deutschland wird frei sein. Dann wird wieder jeder ehrlich sagen können, was er meint.«
Eichwald ließ die Schultern hängen. Der alte Mann ging zur Tür. Hart klopfte sein Stock auf den Boden. Vor dem Regal blieb er stehen und holte umständlich einen Gegenstand aus seinem Mantel. Es war ein Revolver. Er legte ihn ins obere Fach. Ohne sich umzudrehen, sagte er:
»Ich zähle auf dich, Christian.«
Der Bürgermeister sah Blattner an und versuchte ein Lächeln. Aber der alte Mann blieb ernst.
»Aber kein Einzelner ist so wichtig wie die Bewegung. Wenn du deinen Auftrag nicht erfüllst, dann bist du unser Feind. Und wir wissen alles über dich. Also besorg die Drogen und bring sie an einen sicheren Ort. Sonst bist du erledigt.«
Blattner ging durch die Tür und schloss sie leise hinter sich. Eine Weile hörte der Bürgermeister noch den Stock des Alten auf das Linoleum schlagen, dann war Stille. Eichwald vergrub seinen Kopf zwischen seine Hände, aber keine Träne wollte fallen.
Berlin, Schöneberg
G esine Lorenz warf alles weg. Die zerrissenen Bücher, die aufgeschnittene Daunenjacke, das zerbrochene Geschirr. Und mit jedem Müllsack, den sie nach unten schleppte und im Hof neben den Containern abstellte, wuchs ihre Wut.
Den Sprengstoff hatte die Lehrerin ganz hinten im Wohnzimmerschrank verstaut. Wegen des zerstörten Klaviers mied sie den Raum sonst, aber jetzt brauchte sie den Platz. Sie holte es heraus und legte es auf den Tisch.
Sie nahm ihre Schultasche und kippte den Inhalt einfach auf ihr Bett. Das Leder war weich geworden in den Jahren, die sie die Tasche nun schon benutzte. Es war ein Geschenk ihres Vaters zum Examen gewesen. Er hatte stolz hinten im Saal gestanden, als man ihr das Diplom überreichte. Später beim Essen in dem armseligen Restaurant hatte er eine Rede auf sie gehalten, seine einzige Tochter. Sie würde den Stolz ihrer Familie wiederherstellen. Die Kinder sollten bei ihr lernen, welch großer Nation sie entstammten. Genug Lügen würden schon verbreitet.
Vorsichtig wickelte sie die Stangen zu einem kompakten Paket zusammen, das ohne aufzufallen in die Tasche passte. Ihr Vater hatte gewollt, dass sie Geschichte studierte, aber sie hatte schon immer die Kraft der Stoffe geliebt. Im Chemie-Leistungskurs hatte sie mit den Schülern kleine Sprengsätze in Colaflaschen gebastelt und sie auf dem Feld
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