Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Aufwand, geringer finanzieller Gewinn, aber ein positives Signal im Wahlkampf. Er hatte nicht ahnen können, dass er wenige Jahre später meist als Letzter ging.
Er bewegte die Zehen in seinen schwarzen Lederschuhen. Gestern war er damit noch durch den Matsch auf dem Festplatz gelaufen, und heute hatte er sie in aller Frühe geputzt, falls er wieder zu einem unerwarteten Termin musste. Unermüdlich sei der Bürgermeister, hieß es in der Gemeinde. Gab es keine Veranstaltung mehr, keine Gemeinderatssitzung, kein Ausschusstreffen oder Jubiläum, dann häufte er den Tag über Papiere an, die er nach Dienstschluss noch durchsehen wollte. Zuhause entging er so dem stillen Essen und dem Fernsehprogramm.
Eichwald stand auf und ging nach nebenan in das Vorzimmer seiner Sekretärin. Er füllte den Wasserkocher an dem kleinen Spülbecken mit Wasser und suchte im Regal nach Teebeuteln. Seine Sekretärin, eine füllige Mittfünfzigerin aus dem Nachbarort, bevorzugte Earl Grey. Schwarzer Tee am Abend, aber im Grunde war es egal, wovon er nicht schlafen konnte. Meist lag er wach und lauschte seinem Atem. Manchmal lief er durch das dunkle Haus und starrte durchs Fenster auf den verlassenen Dorfanger, bis sich die Lichter der Straßenlaternen im Grau des Morgens auflösten.
Der Kocher rauschte laut, und das Wasser sprudelte. Eichwald hob den Kessel vom Ständer und goss das dampfende Wasser in die Tasse. Er suchte im Regal nach Würfelzucker, als er meinte, ein Rufen zu hören. War noch jemand da? Er blieb in der Hocke sitzen, hielt sich am Regalbrett fest und lauschte angestrengt. Rief da jemand um Hilfe? Wieder dieser eigenartig langgezogene Ton. Mit einem Ruck war der Bürgermeister auf den Beinen. Er lief zur Tür, riss sie auf und lauschte wieder. Das Rufen kam von unten. Er ging schnell die breiten Stufen im Treppenhaus hinunter und steuerte die Toiletten an. Tatsächlich rief jemand mit heiserer, leicht zitternder Stimme um Hilfe. Eichwald zögerte einen Moment. Er glaubte jetzt zu wissen, wer dort rief. Dann riss er sich zusammen und öffnete mit Schwung die Toilettentür.
Der Gestank ließ ihn zurückfahren. Der säuerliche Geruch von Schweiß mischte sich mit dem alles betäubenden von menschlicher Scheiße.
»Herr Blattner – sind Sie das?«
»Christian, mein Junge, Gott sei Dank. Mir ist mein Bein weggeknickt, ich komm nicht mehr hoch, kannst du die Tür aufkriegen?«
Eichwald rüttelte an der verschlossenen Tür. Die Seitenwände der Kabinen endeten wenige Zentimeter über dem Boden, der Spalt war zu schmal, um unten durchzukriechen. Eichwald sah die blau geäderte Hand Blattners und Stoff von einem Hosenbein.
»Soll ich den Notarzt holen?«
»Nein, nein.« Die Stimme des Alten klang ärgerlich. »Es ist alles in Ordnung, nur dieses Bein, es ist mir einfach weggeknickt, jetzt komme ich nicht mehr hoch. Kannst du nicht rüberklettern und mir aufhelfen?«
Eichwald ging in die Nachbarkabine. Er kletterte auf den Toilettensitz und stemmte sich an der dünnen Zwischenwand hoch. Der Gestank wurde immer schlimmer, langsam wurde ihm schlecht. Der Toilettenkasten knackte bedenklich, als er den Fuß daraufsetzte. Aber so konnte er über den Rand nach nebenan schauen. Blattner lag mit der Brust gegen die Tür geklemmt vor der Toilette. Jetzt drehte er leicht den Kopf und schaffte es, dem Bürgermeister ein schiefes Lächeln zuzuwerfen. Er sah aus, als ob er Schmerzen hatte. Eichwald ließ sich auf den Rand der Toilette gleiten. Vorsichtig stieg er auf den Boden, bedacht darauf, den Mann nicht zu treten. Sein erster Griff ging zum Toilettenabzug. Eine braune Masse, vermischt mit roten Schlieren, rauschte in den Abfluss. Er entriegelte die Tür, griff Blatter unter die Arme und drückte die Klinke mit dem Ellenbogen hinunter. Der alte Mann klammerte sich an ihn und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Sein rechtes Bein hing schlaff an der Seite. Eichwald stellte überrascht fest, wie leicht der Mann war. Er trug ihn fast bis in den Vorraum und lehnte ihn dort an einen Heizungskasten. Dann löste er sich von ihm, trat zum Fenster und riss es auf. Mit einem tiefen Zug atmete er die kalte frische Luft ein.
»Gott sei Dank, dass du da warst und nicht eine von den Putzfrauen. Die hätten glatt die Feuerwehr gerufen oder so was.«
Blattner stützte sich mit einer Hand am Waschbecken ab, mit der Linken wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
»Das hätte noch gefehlt, »Rechte Liga schwächelt, ich seh’s schon vor
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