Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
zwei Meter hoch ummauert. Wenn jetzt eine Panik ausbrach, würde das in einer Katastrophe enden.
Am Ende des Weges, kurz vor dem Lutherdenkmal, sah sie den Ü-Wagen. Gerade wurde die Antenne eingefahren. Sie griff nach ihrem Telefon, das ihr bei der Eile beinahe heruntergefallen wäre, und tippte auf Bentes Nummer.
Sie ging sofort ran, ihre Stimme klang erleichtert.
»Emma, du, grad passt es gar nicht, aber ich bin froh, dass du …«
»Bente, du darfst nicht wegfahren! Sag Kalle, dass er die Antenne wieder ausfahren soll!«
Einen Moment war es still. Emma sah auf den Boden und versuchte die Entfernung abzuschätzen. Sollte sie einfach herunterspringen?
»Was redest du denn da?«
»Bente, ich bin hier, beim Brecht-Haus, ich komme. Du musst unbedingt hierbleiben! Kannst du Blume sehen? Er muss doch da sein, oder?«
Emma stopfte kurz das Telefon unter die Jacke und sprang auf die andere Seite der Mauer. Ein Schmerz fuhr ihr durch den rechten Fuß, als sie aufkam, aber sie stand auf und drängte sich an den Leuten vorbei. Wütende Blicke richteten sich auf sie, manche murmelten etwas, aber Emma sah starr nach vorn. Ihr Handy vibrierte, und sie zog es aus der Jacke. Es war Bente.
»Emma, was soll das? Wo bist du? Ich kann doch nicht einfach hierbleiben, wir haben heute noch …«
Emma schirmte ihren Mund mit der Hand ab und sagte leise ins Telefon:
»Bente, ich glaube, hier passiert gleich etwas. Kannst du Blume sehen?«
»Nein. Er war vorne am Trauerzug, keine Ahnung, wo der jetzt ist.«
»Warte auf mich, ich bin gleich da!«
Emma drängte sich weiter durch die Leute. Jemand gab ihr einen Stoß von hinten, der sie gegen die Mauer taumeln ließ. Für einen Moment fasste sie in den efeuumrankten Backstein. Als sie sich wieder wegdrehen wollte, spürte sie eine Hand, die sie gegen das Laub presste.
»Na, wenn das nicht die Zecke ist! Die überall rumschnüffelt und Ärger macht.«
Emma schlug die Hand weg und versuchte zur Seite auszuweichen. Doch jemand hielt seinen Arm wie eine Schranke vor sie. Es war der große Dünne vom Hofsmünder Dorffest. Er sah noch ausgemergelter aus als am letzten Sonntag. Seine Mundwinkel waren eingerissen, seine Augen schwarz, die Pupillen riesig. Emma sah sich um und blickte in feindselige Gesichter. Sie versuchte, eine Lücke zwischen den Männern zu finden, aber der Schlaks trat ihr in den Weg. Emma sagte barsch:
»Gehen Sie weg, ich muss durch!«
Einer der Jungs lachte, Emma sah, dass ihm mehrere Zähne fehlten. Sie sah sich um. Dies hier war ein öffentlicher Ort, und viele Leute waren anwesend, auch Polizei. Es gab keinen Grund, Angst zu haben, sagte sie sich, aber sie fühlte, wie ihre Hände feucht wurden. Um ihre kleine Gruppe herum war es merkwürdig leer. Die Leute drehten ihre Köpfe weg und machten einen Bogen um sie.
»Jungs, macht keinen Unsinn, hier ist jede Menge Polizei.«
»Ach wirklich?« Der Schlaks kam näher, Emma roch seine Bierfahne. »Hast du immer noch nicht kapiert, dass wir machen können, was wir wollen?«
»Wo ist eigentlich Rocco?« Einer der Männer, etwas älter und in einem altmodischen Anzug, drängte sich vor. Ein anderer stieß ihn in die Rippen. »Mensch, der ist doch tot, raffst du eigentlich noch was?« – »Genau«, der Schlaks drückte Emma mit der Schulter gegen die Mauer, »steckst du dahinter, Zecke?« Er klemmte sein Knie zwischen ihre Beine und presste seine Hand gegen ihre Brust. Sie versuchte, ihn wegzuschlagen, aber seine Kumpels kamen ihm zu Hilfe, einer drückte ihr seine Hand auf den Mund, ein anderer hielt ihre Arme fest. Der Schlaks leckte ihr über das Gesicht und flüsterte: »So’n Friedhof is ein geiler Ort, was? Das macht mich richtig scharf …«
Das Handy im Ü-Wagen klingelte, und Bente riss es von der Station, sie erwartete Emmas Stimme zu hören, aber es war Susanne.
»Bente, seid ihr schon bei der Messe angekommen? Euer Gesprächspartner wartet am nördlichen Eingang, gleich hinter …«
»Ich bin noch auf dem Friedhof. Und ich bleibe hier.«
Einen Moment schien Susanne zu brauchen, um ihre Worte zu verstehen.
»Spinnst du? Es ist alles vorbereitet, das Fernsehen …«
»Susanne, ich werde jetzt hier nicht wegfahren. Sag den Messebericht ab. Und ruf die Schaltzentrale an. Wir brauchen vielleicht eine Leitung zur ARD .«
»Was? Aber was ist denn?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich … ich weiß es nicht. Emma hat mich angerufen. Sie will, dass wir bleiben.«
»Dass ihr … spinnst du denn
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