Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
trat er beiseite und ließ Platz für die Trauergäste. In die Menge geriet Bewegung. Statt vorzutreten, drückten sich die Umstehenden nach hinten, keiner wollte der Erste sein. Schließlich ging der Parteivorsitzende Blattner einen Schritt vor und griff nach der Schaufel. Hinter ihm formierten sich die Trauergäste in einer Reihe. In dem Augenblick sah Emma zwei Menschen fast gleichzeitig. Auf der anderen Seite des Friedhofs, ungefähr in gleicher Entfernung zum Sarg wie sie selber, stand Edgar Blume. Er trug eine dunkelblaue Jacke, hatte die Hände in den Taschen vergraben und sah wachsam um sich. In der Reihe am offenen Grab war eine etwas korpulente Frau zur Seite getreten. Hinter ihr stand Gesine Lorenz. Sie hielt eine hellbraune Ledertasche dicht an den Körper gepresst. Sie kehrte Emma den Rücken, den Kopf hatte sie nach rechts gedreht, zu der Gruppe um Blattner.
»Siehst du was?« Bente stand am Heck des Transporters. Emma stellte sich aufrecht an die Leiter und winkte heftig. Ein paar Leute am Grab sahen zu ihr rüber und schüttelten missbilligend die Köpfe. Emma hoffte, dass die Lehrerin sie nicht wahrnahm, aber die sah in die entgegengesetzte Richtung. Endlich registrierte Blume sie. Er sah sie fragend an, sie hielt ihr Handy hoch. Er nickte und zog sein Telefon aus der Tasche.
Kalle steckte den Kopf aus dem Wagen. »Schneider ist jetzt im Sender.«
Emma und Bente wechselten einen Blick. Emma sagte leise: »Nimm das mobile Gerät und stell dich damit hier vorne hin. Du musst alles sehen können, aber bleib beim Wagen.« Während sie redete, schrieb sie bereits eine SMS an Blume. Bente fasste ihren Fuß an und fragte ebenso leise: »Was hast du vor?« Emma schickte die SMS ab. Sie beugte sich runter und sah Bente in die Augen. »Das Verrückte ist – ich hab mich die ganze Zeit gefragt, was diese Frau umtreibt. Ihr Freund, Lukas Brinkmann, war tot, und sie war so kühl. Und jetzt hab ich es verstanden Es ging gar nicht um Brinkmann. Es ging um Marlon. Man hat ihr das Liebste genommen, was sie hatte, Bente. Und sie durfte es nicht zeigen. Sie stand den Mördern ihres Geliebten gegenüber und sollte zusehen, dass sie davonkommen.«
Blume sah auf sein Telefon und las. ANSCHLAG VON LORENZ HABE ZEITZÜNDER GESEHEN . Er sah hoch und nickte, dann neigte er den Kopf und sprach in seinen Kragen hinein.
Emma sagte leise: »Aber sie selber kann nicht weitermachen, als wäre nichts geschehen. Es gibt für sie kein Danach. Nie wieder. Sie will es beenden. Und zwar endgültig.« Sie sprang vom Wagen und Bente hielt sie am Arm fest. »Was kann ich tun?« Emma stellte sich dicht neben sie.
»Es kann sein, dass hier gleich ein Sprengsatz hochgeht. Halt dich auf jeden Fall beim Wagen auf. Bleib solange es geht auf Sendung. Ich habe eine Idee – aber ich weiß noch nicht, ob sie funktioniert.«
S chritt für Schritt zogen die Trauergäste am Grab vorbei. Nachdem die erste Scheu überwunden war, drängten sie nach vorn, begierig, Erde auf den Sarg zu schütten, zudecken und dann vergessen, was geschehen war. Das Herz der Lehrerin schlug hart gegen die Rippen, sie konnte nicht vergessen, bis dieser letzte Schritt getan war.
Nur noch zwei Menschen trennten sie von Achim. Sie sah seinen dunkelblauen Blouson und den braunen Gürtel, der die mächtige schwarze Hose hielt. Vor ihr stand die Frau aus dem Supermarkt, sie kam nicht an ihr vorbei. Eine Bewegung in ihren Augenwinkeln ließ sie erstarren. Langsam drehte sie den Kopf. Ein Mann im schlecht sitzenden Anzug schob sich nach vorn. Er sah nicht wie alle anderen zum Grab, sondern nach rechts. Eine dünne Leitung ragte aus seinem Kragen. Sie folgte seinem Blick. Ein anderer Mann mit auffällig breiten Schultern nickte ihm zu. Dann sah er in ihre Richtung, und ihre Blicke kreuzten sich. Sie wollten sie aufhalten.
Die Lehrerin drehte sich um und stieß die Frau vor sich mit aller Kraft zur Seite. Mit einem spitzen Schrei taumelte sie gegen ihre Begleitung, einen alten Mann, der heftig mit den Armen rudernd um sein Gleichgewicht kämpfte, um nicht in das Grab zu fallen. Die Lehrerin machte zwei große Schritte und stand jetzt direkt hinter Achim. Ihre linke Hand schob sie unter den braunen Gürtel, mit der rechten griff sie nach dem Zünder und hielt ihn hoch in die Luft.
»Gesine!« Der Ruf schallte über die Trauergesellschaft, alle wandten ihren Kopf und sahen Edgar Blume an, den Mann, der da so laut rief. »Gesine, tun Sie das nicht!«
Erst jetzt drehten sich die
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