Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Haare hingen ihr im Gesicht. Dann rief sie laut: »Lukas tat, als hätte es Marlon nie gegeben. Er sagte, wir würden heiraten, jetzt, wo alles geklärt wäre. An dem Abend rief ich Christian an. Ich sagte ihm, ich hätte Informationen von damals. Er kam zu mir. Ich erzählte ihm alles, und er wurde weiß wie eine Wand. Konnte sich kaum auf den Beinen halten.«
Emma fragte, und ihre Stimme krächzte dabei, als koste es sie Mühe, es auszusprechen: »Wollten Sie, dass er seinen alten Jugendfreund tötet?«
Die Lehrerin sah sie unsicher an. »Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich wollte nur – dass es ihm schlecht geht! Ich wollte ihm dieses Siegerlächeln aus dem Gesicht schlagen!« Sie sah auf den Zünder in ihrer Hand und rief plötzlich laut: »Aber es tut mir nicht leid! Ich war froh, als ich hörte, dass er ihn umgebracht hat!«
»Eichwald hat es getan, aber er wurde damit nicht fertig, er hat sich erschossen.« Emma stand jetzt ganz nah bei der Lehrerin. Blume hielt den Atem an. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, in welche Gefahr sie sich begab? Emma fragte: »Und Rocco Schmitz? Die Tschechen hätten ihn laufen lassen, nicht wahr? Vielleicht war er ein lausiger Geschäftspartner, aber sein Tod nützte ihnen nichts. Sie haben seinen Tod veranlasst, nicht wahr?«
Die Frau verzog ihr Gesicht, harte Linien ließen sie plötzlich hässlich erscheinen.
»Er machte einfach weiter, als sei nichts geschehen. Das konnte ich nicht zulassen.«
Achim, Emma und Gesine Lorenz standen nun am Grab. Die Menschen um sie herum waren zurückgewichen, langsam und leise. Emma sagte:
»Aber es wird nicht besser, oder? Das Gefühl, Schuld zu haben, Schuld an Marlons Tod, geht nicht weg. Es wird nie weggehen. Egal, wie viele Menschen sterben, es ändert nichts.«
Helene hielt den Atem an. Sie hörte den Schmerz ihrer Tochter in der Stimme. Khoys Mutter fasste nach der Hand ihres Mannes. Die Gäste im Restaurant hatten aufgehört zu essen.
Die Lehrerin sagte leise: »Er musste sterben, weil ich ihn nicht aufgeben wollte. Ich hätte es wissen müssen. Jetzt ist es zu spät. Ich kann damit nicht leben.«
»Doch.« Emma sagte es mit so viel Nachdruck, als müsste sie sich selber überzeugen. »Sie sind nicht schuld an Marlons Tod. Sie müssen es sich sagen, jeden Tag. Immer wieder: Ich bin nicht schuld.«
Die Lehrerin weinte. Sie schüttelte den Kopf. Emma sagte es immer wieder, sanft und leise wie eine Beschwörungsformel.
»Sie sind nicht schuld an Marlons Tod.« Mit hängenden Armen stand Gesine Lorenz vor ihr. Sie flüsterte jetzt: »Er war so kostbar. Ich hätte es am liebsten der ganzen Welt erzählt, dieses wundervolle Wesen liebt mich! Aber wir konnten es niemandem sagen. Nirgendwo zusammen hingehen. Nur gestohlene Zeit, kurze heimliche Momente. Wenn ich fertig bin mit der Schule, hat er immer gesagt. Wenn ich fertig bin, gehen wir zusammen weg.«
Blume stand jetzt neben ihr und nahm der Lehrerin vorsichtig den Zeitzünder aus der Hand. Sie sank auf die Erde am frisch ausgehobenen Grab. Achim machte einen schnellen Schritt zur Seite von ihr weg. Er keuchte, sein Gesicht war schweißnass. Die Trauergäste, die noch immer in der Nähe standen, lösten sich aus ihrer Starre und beeilten sich jetzt wegzukommen. Die Stille war gebrochen. Eltern riefen nach ihren Kindern, manche schrien, andere weinten, alle rannten sich gegenseitig in die Arme, traten auf Hacken und Zehen und schoben sich mit den Ellenbogen nach vorne. Blattners Begleiter drängten sich mit dem alten Mann durch die Menge und waren bald nicht mehr zu sehen. Heike stand mit August weiter hinten am Weg, vor sich vermummte Beamte mit Schutzschilden. Blume versuchte, Gesine Lorenz hochzuziehen, aber sie schlug um sich und weinte laut. Emma sah zu Bente rüber. Sie stand auf den Sprossen außen am Ü-Wagen und beobachtete die Szene. Auf der internen Leitung hörte Emma Kalles Stimme im Kopfhörer. »Emma, gib ab! Schneider soll die Sendung beenden. Hier bricht das Chaos aus. Komm in den Wagen!«
Berlin, Charlottenburg. Redaktion BerlinDirekt
S chulenburg riss die Tür zum Studio auf. Schneider saß mit dem Kopfhörer am Regiepult. Die Telefonleitungen blinkten, Susanne und die Technikerin, die heute Innendienst hatte, telefonierten pausenlos. Schneider schien alles zu dirigieren, er bestellte Leitungen, schaltete Verbindungen und sprach Anmoderationen. Dabei strahlte er eine Ruhe aus, die sich trotz der Hektik auf die anderen übertrug. Als er Schulenburg
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