Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
wahrnahm, hob er für eine Sekunde den Kopf in seine Richtung und sagte: »Das Thema Vorruhestand ist hiermit beendet.«
Der Wellenchef stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er hätte nicht gedacht, dass er sich einmal so freuen würde, seinen Chefredakteur zu sehen.
Berlin, Mitte. Dorotheenstädtischer Friedhof
E mma sah zu Blume. Sein Blick lag auf seinem Freund Achim. Emma hob die Hand mit dem Mikrofon und bat leise um die Abnahme. Schneider zog den Regler. Die Sendung war zu Ende.
Emma ging mit steifen Beinen zum Ü-Wagen und legte das Gerät auf die Rückbank. Bente ging auf sie zu, aber Emma winkte ab: später. Sie drängte sich durch bis zum Ausgang, langsam löste sich die Menge auf. An der Chausseestraße fing sie an zu laufen. Sie musste nur bis zur Hälfte der Torstraße, dann kam Helene ihr entgegengerannt. Emma fiel in die Arme ihrer Mutter. Sie grub ihr Gesicht in Helenes Schulter und weinte sich ihre Anspannung vom Leib. Helene wiegte sie, sagte unsinnige Worte und streichelte immer wieder über ihren Rücken. Lange standen sie so, Passanten gingen um sie herum, und Autofahrer hielten im Stau neben ihnen auf der Straße. Niemand beachtete sie. Es gehörte schon mehr dazu, um in Berlin aufzufallen.
Sonntag, 30.März.
Berlin, Mitte. Imbiss Sampeah
A m nächsten Tag feierten sie bei Khoy ihren Geburtstag. Helene schenkte ihr einen Pullover und Ida eine Mappe mit Fotos. Blume hatte angerufen. Helene wollte den Hörer weiterreichen, aber Emma schloss sich in der Toilette ein. Das verschaffte ihr wieder einen nachdenklichen Blick von ihrer Mutter.
Später kam Schneider im Imbiss vorbei und überreichte ihr ein nagelneues Aufnahmegerät – mit einem Gruß von Schulenburg. Emma konnte sich vorstellen, was ihn das an Diskussionen mit dem Chef gekostet haben mochte, und umarmte ihn fest. Schneider war zunächst unruhig gewesen, er hatte laut und viel geredet und es vermieden, Helene anzusehen. Nach einer Weile hatte sie einfach ihre Hand auf seine gelegt, und er war zusehends ruhiger geworden. Am Ende erzählten die beiden abwechselnd von ihren Studienjahren, in denen Helene ihn und seinen Bruder kennengelernt hatte. Da hast du dich dann für ihn entschieden, sagte Schneider mit einem merkwürdigen Blick. Sie redeten über den Vater, wie Helene es sonst nie tat. Emma saß mit leuchtenden Augen dabei und saugte jedes Wort auf.
Auch Bente war noch aufgetaucht. Sie sprach lange mit Schneider. Dann gingen Bente und Emma allein vor die Tür, obwohl keine von beiden rauchte. Erst sprach Bente, dann Emma. Am Ende umarmten sie sich.
8 Tage später, Sonntag, 6. April
Berlin, Alexanderplatz, Mitte
A ls der Anruf aus dem Krankenhaus kam, hatte Emma noch geschlafen. Es war der Arzt, dem sie ihre Visitenkarte gegeben hatte. Er sagte, dass es dem Pastor besser ginge und dass er sich über Besuch freuen würde. Emma versprach, sich gleich auf den Weg zu machen.
Sie war die ganze Woche zuhause geblieben, hatte einen Brief an ihre frühere Nachbarin Penelope geschrieben, sie war spazieren gegangen und hatte im Café gelesen. Am folgenden Tag wollte sie wieder ins Büro fahren, und sie fühlte sich stark genug dafür.
Sie ging zu Khoy rüber, trank einen Kaffee mit seiner Mutter und borgte sich noch einmal seinen Wagen aus. Auf dem Weg nach Brandenburg stellte sie das Radio an, es kamen erste Hochrechnungen von den Wahlen in Brandenburg. Die Bemühungen des Innenministeriums unter der Leitung von Staatssekretär Eberhard Hirsch, die Rechte Liga mittels eines Verbotsverfahrens an der Aufstellung zur Wahl zu hindern, waren gescheitert. Die Geschichte der Liebe einer Lehrerin zu ihrem Schüler hatte sich nach der Radiosendung wie ein Lauffeuer verbreitet. Dabei interessierten sich die Menschen besonders dafür, wie Marlon Siebenbacher zu Tode gekommen war – und wer sich daran mitschuldig gemacht hatte. Achim Schrandt war nach dem Zwischenfall auf dem Friedhof untergetaucht. Offiziell hieß es, er habe einen Schock erlitten. Sobald es sein Zustand zuließe, würde er für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden. Seine Rolle als Kronzeuge war damit hinfällig geworden. Staatssekretär Hirsch sah sich gezwungen, den Eilantrag zum Verbot der Rechten Liga noch am selben Abend zurückzuziehen. Zur gleichen Zeit startete eine Gruppe von Anhängern der Rechten Liga eine großangelegte Internet-Kampagne, um die Partei als wertkonservative Alternative darzustellen, die von Drogensüchtigen und linken Gewaltverbrechern
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