Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
ihren Teller nach hinten und kassierte eine Familie ab, die ein Menü zum Mitnehmen bestellt hatte. Khoys Vater ging aus dem Imbiss nach hinten in die Küche und kitzelte das Mädchen, das er offenbar kannte, im Vorbeigehen im Nacken, was sie mit einem begeisterten Quieken beantwortete. Der kleine Junge versteckte sich in den Mantelfalten der Mutter. Emma dachte an Ida und wie sie sich beim Versteckenspielen die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte, überzeugt, dass niemand sie sehen konnte, wenn sie selbst niemanden sah. Sie sehnte sich nach ihrer kleinen Schwester.
Khoy nahm das Trinkgeld, die Familie verabschiedete sich und verließ den Imbiss. Das kleine Mädchen drehte sich noch mal um und fing Emmas Blick auf. Emma lächelte. Die Kleine streckte ihr blitzschnell eine rosa Zunge heraus und flitzte an der Mutter vorbei nach draußen.
Khoy ließ sich mit zwei Tassen dampfenden Kaffees neben Emma auf die Bank fallen. Er hustete, beugte sich mit runden Schultern über den Tisch und trank einen großen Schluck aus seiner Tasse. Seine Iro-Bürste leuchtete heute in Tannengrün, seine Augenlider fliederfarben, ein Ring mit einer Kugel zierte seine Lippen. Zu Weihnachten hatte Emma sich von ihm gewünscht, ihn einmal pur zu sehen. Er war wortlos unter die Dusche gegangen und mit rosiger Haut und weich fallendem schwarzem Haar zurück ins Zimmer gekommen. Emma hatte nur genickt. Sie verstand nun seine Maskerade. Khoy hatte blendend schön und schutzlos vor ihr gestanden.
Khoy setzte die Tasse ab und trommelte mit den Händen nervös auf dem Tisch herum. Sein Vater hatte ihm verboten, im Imbiss zu rauchen. Emma wusste, dass er seine wertvolle Zigarettenpause ausfallen ließ, um sich zu ihr zu setzen. Sie nahm die CD-Hülle aus ihrer Tasche, legte sie vor Khoy auf den Tisch und klappte sie auseinander.
Khoy starrte einen Moment auf das kleine Tütchen, dann klappte er die CD-Hülle wieder zusammen und warf einen Blick durch den Imbiss. Es waren nur noch wenige Gäste da. Sein Vater schien noch immer hinten in der Küche bei seiner Mutter zu stehen. Er sah zu Emma.
»Was soll das?«
Emma legte ihre Hand auf das Päckchen.
»Ich hab das heute von einem kleinen Jungen bekommen. Weißt du, was das ist?«
»Hältst du mich für blöd? Wenn Papa das sieht, schmeißt er dich raus.«
»Ich dachte, du könntest mir vielleicht etwas über den Handel mit dem Zeug erzählen.«
Khoy zögerte. Er hörte aus der Küche die weiche, leicht tadelnde Stimme seiner Mutter, kurz darauf lachte sein Vater.
»Lass es mir hier. Ich hör mich mal um, okay?«
»Danke.« Emma legte Geld neben ihren leergegessenen Teller und stand auf. Khoy stopfte sich das Päckchen in die enge Jeans und stand ebenfalls auf. Sie umarmten sich, Emma stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Khoy auf den Iro. Er schmeckte nach Waldmeister. Khoy hielt ihr die Tür auf. Ein kalter Wind schlug ihnen entgegen. Emma wollte schon gehen, zögerte, drehte sich noch mal zu ihm um und meinte, halb im Scherz:
»Aber nicht vernaschen, ja?«
Khoy hörte auf zu lächeln und sah sie wütend an. Sie sagte rasch:
»War nur ein blöder Scherz, entschuldige.«
Er nickte, aber sein Gesicht hellte sich nicht auf. Ein Mann rief nach ihm, wollte zahlen. Khoy drehte sich um und ging auf ihn zu. Emma verließ den Imbiss und sah durch die Scheibe auf ihren Freund. Aber Khoy hatte ihr den Rücken zugedreht. Emma sagte laut zur Scheibe:
»Warum sind hier nur alle immer so verdammt empfindlich!« Als ihr Spiegelbild keine Antwort gab, stapfte sie mit hochgeschlagenem Mantelkragen davon.
Montag, 24. März.
Berlin, Alexanderplatz, Mitte
U m halb acht sprang ihr Radiowecker an. Emma hatte schon ausgeholt, um ihn zum Schweigen zu bringen, da hörte sie Andreas’ warme Stimme die Nachrichten vorlesen.
»Lukas Brinkmann war Mitglied der rechtsradikalen Par tei. Das bestätigte uns vor wenigen Minuten der Verfas sungsschutz. Brinkmann war Lehrer an einer Zehlendorfer Grundschule. Er war am Sonnabendmorgen ermordet in seiner Wohnung aufgefunden worden. In der nächsten Stunde wird sich der Ü-Wagen von der Schule des Lehrers melden.«
Andreas wechselte zu weiteren Meldungen, und Emma kroch aus dem Bett. Sie stellte sich unter die Dusche, putzte sich die Zähne und wühlte eine halbwegs saubere Jeans aus dem Haufen. Also hatte Bentes Verbindungsmann bestätigt, dass Brinkmann in der Partei war. Der Ü-Wagen vor der Schule in Berlin-Zehlendorf war für 8 Uhr 10 eingeplant, das
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