Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
aufgrund landespolitischer Unkenntnis gescheitert. Emma meinte sich zu erinnern, dass Blattner später wegen Holocaust-Leugnung und Beleidigung von Mitgliedern des Zentralrats der Juden ins Gefängnis gekommen war. Seitdem hatte sie nie wieder etwas von dem Mann gesehen oder gehört.
Emma hatte den Kirchplatz, Netto und das Autohaus hinter sich gelassen und fuhr langsam aus dem Dorf heraus. Drei Mädchen kamen ihnen entgegen, die sich auf hochhackigen Schuhen kichernd aneinanderdrängten. Sie steuerten auf den Zeltplatz zu. Emma dachte an die Jungs mit den riesigen Pupillen. Bis Blattner kam, hatten sie sich wie entfesselt aufgeführt.
»Du, August?«
»Mmmh?«
»Weißt du, was die älteren Jungs für ein Zeug nehmen?«
»Meinen Sie Bier?«
Emma warf einen Blick auf die Rückbank. August hatte den Kopf nicht gedreht und schaute weiter aus dem Fenster.
»Nein, ich meine etwas anderes. Was sie so komisch werden lässt. So aufgedreht. Wie eben, weißt du?«
August drehte den Kopf nach vorn und wies mit dem Finger auf einen Weg, der rechts von der Straße abging.
»Da vorn musst du abbiegen.«
Emma setzte den Blinker und bog in den Schotterweg ein. Er endete seitlich an einem winzigen grau verputzen Haus. Der Garten war kahl, an der Rückwand stapelten sich Müllsäcke und leere Bierkisten. Emma ließ den Wagen ausrol len, bis er vor einem kleinen Schuppen hinter dem Haus zum Stehen kam. An einer Wäscheleine zwischen dem Schuppenvordach und einer Krüppelfichte hingen ein paar Kinderhosen und ein Kleid. August löste den Sicherheitsgurt, zögerte und sagte leise:
»Danke schön. Fürs Fahren.«
»Warte, ich helf dir mit Burschi.«
Emma stieg aus und öffnete die Tür zur Rückbank. Das Kaninchen saß still in seiner Kiste. Sie zog die Kiste zu sich. August war von der anderen Seite zur Rückbank geklettert und schob Burschi vom Sitz. Ohne Emma anzusehen, sagte er:
»Sie wollen morgen nach Berlin fahren.«
Emma ließ die Kiste los und sah den Jungen erstaunt an.
»Wer?«
»Rocco und der Herr Blattner. Sie wollen am Nachmittag einen Kranz ablegen. Bei Lukas vor die Tür. Also da, wo der gewohnt hat.«
»Woher weißt du das?«
August schwieg. Er schob langsam die Kiste weiter und sah auf Burschi.
»Hab ich eben gehört.«
Emma nahm die Kiste und trug sie langsam hinter das Haus. August ging ihr voran bis zu einem selbst gezimmerten Kaninchenstall an der Seite des Schuppens. Emma stellte die Kiste vorsichtig auf den Boden. August entriegelte die Tür des Stalls und hob Burschi auf das Stroh. Er streichelte das Tier und sagte:
»Dabei haben sie immer nur gestritten.«
»Wer?«
»Der Blatter und Lukas. Richtig geschrien haben die. Und Rocco manchmal auch.«
Das Kaninchen hoppelte schnell bis zur Rückwand des Stalls und verkroch sich in einem Haufen frischen Rindenstreus. Emma nahm die Kiste und stellte sie unter das Schuppenvordach. Ohne sich umzudrehen, fragte sie:
»Weißt du, worum es bei dem Streit ging?«
Keine Antwort. Sie kniete sich neben August, der seine Finger zwischen die Maschen des Käfiggitters bohrte. Vom Haus rief eine Stimme.
»Komm jetzt endlich rein!«
August fuhr herum. Seine Schwester stand an der Hintertür und wickelte sich fröstelnd eine Strickjacke um den Körper. Sie kam auf sie beide zu und nahm die Kleider von der Leine. Emma kam hoch und ging einen Schritt auf sie zu.
»Ich habe das von Ihrem Bruder gehört. Von Marlon. Es tut mir sehr leid.«
Heike ließ die Wäscheleine los und musterte Emma. Sie sagte gedehnt: »Sie kommen ganz schön rum, oder? In Ihrem Job?«
Emma sah sie erstaunt an. »Na ja, in Berlin schon.«
Heike warf die Wäscheklammern in einen Korb unter das Vordach und legte sich die frisch gewaschenen Hosen über die Schulter. »Wie wird man das denn, was Sie machen?«
Eine Klammer fiel daneben. Emma hob sie auf und spielte damit in ihrer Hand. »Du kannst mich ruhig duzen. Na ja, das Übliche. Abi, Studium und viel Arbeiten.«
Heikes Gesicht verschloss sich. Sie nahm ihr die Wäscheklammer grob aus der Hand und warf sie zu den anderen in den Korb.
»Schon klar.«
Emma sah sie prüfend an. Aus der Stimme der jungen Frau klang eine Sehnsucht, hier herauszukommen. Sie sagte vorsichtig:
»Aber Marlon, der hatte das vor. Studieren, meine ich. Oder? Warum sonst hätte er den weiten Schulweg auf sich genommen. Jeden Tag bis nach Berlin!«
Heike zupfte an ihrem Kleid, prüfte, ob es schon trocken war.
Schmallippig meinte sie:
»Der Marlon, der
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