Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
saß auf dem Plastikstuhl vor der Intensivstation und versuchte flach zu atmen. Der Krankenhausgeruch verursachte ihr Übelkeit. Draußen schien hartnäckig die Sonne. Noch immer hatte sich kein Arzt blicken lassen.
Sie stand auf und ging auf die Toilette weiter vorne im Flur. Sie pinkelte, dann stellte sie sich vor den Spiegel im Vorraum und betrachtete ihr Gesicht. Die Wunde am Kopf hatte schnell aufgehört zu bluten, der Schmerz, der sich bis in die Augen zog, war aber stärker geworden. Sie beschloss, sich Tabletten aus der Krankenhausapotheke zu holen.
Das Wasser kam kalt aus dem Hahn, sie ließ es über ihre Handgelenke fließen. Vorsichtig wusch sie sich das Blut aus den Haaren. Das kalte Wasser kühlte ihr Gesicht, sie lehnte sich gegen den Spiegel und schloss für einen Moment die Augen. Dann klappte die Tür, eine Frau kam herein, an der Hand eine kleine Tochter. Was macht die Frau da, wollte das Mädchen wissen, aber die Mutter schob sie schnell in die Kabine.
Die Papiertücher rochen säuerlich, Emma tupfte sich mit ihrem Pullover trocken. Dann ging sie wieder hinaus und setzte sich still auf den Plastikstuhl vor der Intensivstation.
Vom anderen Ende des Flurs näherte sich mit großen Schritten Heike. Emma schnappte nach Luft, als sie sie erkannte. Sie trug noch ihre Arbeitskleidung, ein graublaues Kittelkleid, auf der Brust stand Seniorenstift Rosenheim, darunter ihr Namensschild und eine violette Rose. An ihrer Hand zerrte sie August hinter sich her. Er sah starr auf den Boden und trippelte in kleinen Schritten, bemüht, nicht auf die Striche zwischen den Fliesen zu treten. Ohne Emma zu beachten, klingelte Heike Sturm an der Tür zur Intensivstation. Wieder erschien die Schwester. Heike fragte nach dem Pastor, ihre Stimme kippte hysterisch. Sie versuchte, an der Krankenschwester vorbei einen Blick in die Station zu werfen. Die Schwester schob sie energisch wieder auf den Flur und sagte knapp, der Doktor komme gleich. Heike blieb einen Moment vor der geschlossenen Tür stehen, dann drehte sie sich um und ging ein paar Schritte zur Wand. Sie lehnte sich dagegen und verschränkte ihre Arme. Emma saß ihr jetzt gegenüber und starrte sie an. Ein Abgrund von zwei Metern trennte sie. Emma meinte: »Du hast ja Nerven, hier aufzutauchen!«
Heike antwortete nicht. Nach einer Weile fragte sie im barschen Tonfall: »Wie geht’s ihm?«
»Das weiß ich nicht.« Emma warf einen Seitenblick auf August, der zur Besucherbank getrabt war und die Zeitschriften durchblätterte. Sie senkte ihre Stimme. »Er hat viel Blut verloren.«
Heike schluckte, dann sah sie zur Seite. Mit zittrigen Fingern zog sie eine Zigarettenpackung aus der Tasche ihres Kleides, besann sich dann aber und steckte sie wieder ein. Plötzlich kamen ihr die Tränen.
»Wieso kommt denn keiner? Vielleicht ist er schon tot!« Das Weinen verstärkte sich. Heike schlug ihre Hände vor das Gesicht und rutschte langsam die Wand hinunter, bis sie am Boden hockte. Emma stand unschlüssig auf und ging auf sie zu. Wie ein kleines, sehr ängstliches Mädchen kauerte Heike vor dem Krankenzimmer, ihre Schultern zuckten. Emma hatte Mitleid mit ihr, dachte aber auch an ihren Kampf vor wenigen Stunden. Ihr Kopf brummte immer noch.
Als hätte Heike ihr Näherkommen gespürt, nahm sie die Hände von ihrem Gesicht und wischte sich über die Augen. Sie holte tief Luft und bemühte sich, ihre Schluchzer unter Kontrolle zu bringen.
Mit einem Seufzer ließ sich Emma an ihrer Seite nieder. Ihre Schultern berührten sich, und Heike fing wieder an zu weinen. Irgendwann legte Emma ihren Arm um die junge Frau, und die ließ es geschehen. Heike flüsterte: »Sie haben Rocco. Ich hab so Angst.« Eine Weile schwiegen sie. Dann räusperte sich Heike und sagte, etwas lauter: »Tut dein Kopf noch weh?« Emma sagte: »Fast gar nicht mehr.«
Heike kramte ein Taschentuch aus ihrem Kittel und schnäuzte sich lautstark. Dann sagte sie mit einem unsicheren Seitenblick auf Emma: »Entschuldigung.« Emma nickte. Im Flur war es still, bis auf das Rascheln des Filzstiftes in Augusts Hand. Er hatte sich eine Zeitschrift aus dem Stapel gezogen und malte jetzt Schnurrbärte auf die Gesichter. Heike flüsterte:
»Auf einmal standen diese Typen bei uns im Flur. Die knallten Rocco eine, Mann, der ist sofort auf den Boden gegangen, so schnell konnste nicht gucken. Ich war froh, dass August in der Schule war.«
Emma nahm den Arm von Heikes Schulter und setzte sich aufrecht hin. Sie
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