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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Muslime waren oder warum muslimische Astronomen bis ins 16. Jahrhundert die westlichen Nachzügler übertrafen.
    Die wahre Erklärung lautet vermutlich, dass sich die muslimische Kultur nach 1700 aufgrund der erlittenen militärischen und politischen Niederlagen – ähnlich dem chinesischen Konfuzianismus im 13. und 14. Jahrhundert – weitgehend nach innen gekehrt hat. Der Islam ist ein weiter Raum. Am einen Ende steht die Türkei, die soweit in der Moderne angekommen ist, dass sich ein Beitritt in die Europäische Union abzeichnet, am anderen Ende stehen Al-Qaida und die Taliban, die Frauen umbringen, wenn sie in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zeigen. Alles in allem blieb jedoch, als die islamische Welt allmählich ihre Stellung als Zentrum des Westens verlor und immer mehr zum ausgebeuteten Randgebiet wurde, die gesellschaftliche Entwicklung in einer gewissen Opferhaltung stecken. Diese zu überwinden ist die große Aufgabe des modernen Islam; und wer weiß, welche Vorteile die islamische Welt dann in ihrer Rückständigkeit entdeckt.
    Kultur und freier Wille sind Joker. Sie komplizieren das Morris-Theorem, dem zufolge Veränderungen von faulen, habgierigen, verängstigten Menschen bewirkt werden, die zur Bewältigung ihres Alltags nach leichteren, profitableren und sichereren Wegen suchen (wobei ihnen diese Suche oft genug nicht bewusst ist). Kultur und freier Wille bremsen oder beschleunigen unsere Reaktionen auf sich verändernde Umstände. Sie fälschen jede einfache Theorie ab oder verwässern sie. Aber Kultur und freier Wille können – wie die Geschichte zeigt, die ich in den Kapiteln 1 bis 10 erzählt habe – die Gesetze der Biologie, Soziologie und Geographie nie auf Dauer übertrumpfen.
    Zurück in die Zukunft
    Dass der Westen die Welt regiert, hat sowohl lang- als auch kurzfristige Gründe, die ihrerseits dem ständig wechselnden Zusammenspiel von geographischen Bedingungen und gesellschaftlicher Entwicklung geschuldet sind. Aber die westliche Dominanz ist weder ein Resultat eherner Festschreibung noch eines zufälliger Ereignisse. Es wäre richtiger, diese Dominanz als »wahrscheinlich« zu beschreiben, als das nächstliegende Ergebnis eines historischen Spiels, in dem die Karten aufgrund der geographischen Bedingungen fast immer zugunsten des Westens gemischt waren. Der Westen war, so könnte man sagen, immer ein heißer Kandidat für die Vorherrschaft.
    Um ein wenig Licht in diese kryptischen Bemerkungen zu bringen, möchte ich mich einer Methode aus Robert Zemeckis’ Komödie
Zurück in die Zukunft
bedienen, die 1985 in die Kinos kam. Zu Beginn des Films baut ein verrückter Professor aus einem riesigen Gitarrenverstärker, gestohlenem Plutonium und einem DeLorean-Sportwagen |548| eine Zeitmaschine. Als der Professor von Terroristen ermordet wird, ergreift der mit ihm befreundete Jugendliche Marty McFly (gespielt von Michael J. Fox) die Flucht und wird von der Zeitmaschine ins Jahr 1955 zurückversetzt. Dort begegnen ihm seine künftigen Eltern in dem Alter, in dem Marty jetzt ist. Das Unglück nimmt seinen Lauf – anstatt ihr Herz an Martys künftigen Vater zu verlieren, verliebt sich seine künftige Mutter in Marty selbst. Nur ein winziger Makel im Webmuster der Geschichte, könnte man sagen, aber für Marty geht es um viel: Wenn er es nicht schafft, die Sache bis zum Ende des Films wieder in Ordnung zu bringen, wird er nie geboren werden.
    Anders als es den Gepflogenheiten seriöser Historiker entspricht, die die Geschichte von Anfang an bis zu unserer Gegenwart rekonstruieren, wäre es vielleicht ganz hilfreich, à la Marty McFly in die Vergangenheit zu springen. Dann könnten wir wie in dem Film innehalten und uns fragen, was hätte geschehen sein können, um zu verhindern, dass die Zukunft – sagen wir: das Jahr 2000 – so aussieht, wie sie es tut.
    Ich gehe zunächst zwei Jahrhunderte zurück, also ins Jahr 1800. In der Zeit Jane Austens angekommen, werden wir feststellen, dass schon damals alles auf die führende Rolle des Westens im Jahr 2000 hindeutete. In Großbritannien war die industrielle Revolution im Gange, die Wissenschaft blühte und gedieh, und die militärische Macht Europas stellte alles in den Schatten. Natürlich war nichts in Stein gemeißelt. Mit etwas mehr Glück hätte Napoleon seine Kriege vielleicht gewinnen können, und mit etwas weniger Glück hätten die Regierenden in Großbritannien die Sache mit der industriellen Revolution vielleicht vermasselt. Dann wäre

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