Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
überhaupt kein schlechtes Gewissen.«
»Jetzt bist du mal dran!« – Elternschaft ist ein Prüfstein für die Beziehung
Tatort Lufthansa-Maschine. Flug von Hamburg nach London. Der Flieger ist voll. Ein Pärchen mit Kleinkind. Die Eltern sind gereizt, der Nachwuchs ist zappelig. Mitreisende hoffen, dass sich die Kleinfamilie weit wegsetzt.
Papi zwängt sich mit Zappelmonster auf den Fensterplatz, Mami sitzt am Gang und schaut betont in eine andere Richtung. Auf ihrer Stirn glitzert ein unsichtbares »Ich liebe meine Familie über alles, aber im Moment will ich einfach nur meine Ruhe haben. Und wenn ich die nicht kriege, raste ich aus!« Papi ist so schlau, Mami nicht anzusprechen, er schnallt das Kind auf dem Schoß fest, das Kind zappelt weiter. Das Flugzeug hebt ab. »Bääääh!« Das Kind schreit. »Vermutlich die Ohren«, tröstet die Stewardess lächelnd, »das war bei meinen auch immer so.« Die Eltern ignorieren die Stewardess.
Mami greift in ihre Tasche, holt eine Gala heraus, blättert geräuschvoll und leicht verbissen die Seiten um. Das Kind schreit weiter. Papi versucht, es zu beruhigen. Ohne Erfolg. Er schaut seine Frau von der Seite an, sie studiert gerade die neuesten Fotos von Brangelina – engelsgleiche Kinderschar, attraktive Eltern, sie sieht dabei nicht fröhlich aus.
»Wo ist denn der Schnuller?«, fragt Papi. Mami zuckt mit den Schultern, blättert weiter. Papi sucht nervös seine
Jackentaschen ab, den Boden zu seinen Füßen, die engen Sitzritzen. Das Baby ist jetzt ganz schlecht gelaunt. Unruhige Töne auch von den Mitreisenden, Köpfe drehen sich um. »Weißt du wirklich nicht, wo der Schnuller ist?«
Jetzt ist auch Papis Stimme leicht erhöht. Ohne von der Gala aufzusehen, nickt Mami mit dem Kopf in Richtung Prada-Tasche, die auf dem Boden zwischen ihnen steht. Papi, schweißüberströmt, versucht, sich vorzubeugen, um an die Tasche zu kommen, quetscht dabei versehentlich das Kind, das jetzt noch lauter schreit. »Kannst du mir nicht mal helfen?«
In Papis Augen blitzt jetzt ein Kartoffelschälmesser, ein superscharfes. Und diese Schärfe ist zielgenau auf Mami gerichtet. Mami blickt zurück.
Und jetzt kommt er, der klassische Satz aller überforderten Eltern. Sie kennen ihn. Sie haben ihn, als Ihre Kinder noch klein, niedlich und anstrengend waren, bestimmt gefühlte 869578 Mal selbst gesagt. Und jetzt sagt Mami im Flugzeug nach London ihn. Sie sagt, nein, sie zischt: »JETZT BIST DU MAL DRAN!« Und damit wendet sie sich wieder ihrer Gala zu.
Nichts ist mehr wie früher
Früher war alles viel einfacher. Papi erlegte das Bärenfell, Mami blieb zu Hause und versorgte die Brut. Das Baby lag im Körbchen neben dem Ehebett und wenn es piepte, schob Mami sich das Nachthemd hoch und legte es an die Brust. Papi schlief einfach weiter, in seiner Brust war schließlich keine Milch. Worüber er insgeheim sehr glücklich war. Außerdem musste er morgens ausgeschlafen ins Büro gehen, während Mami ihm von der Haustür aus nachwinkte, die Schürze frisch gebügelt, das Baby auf dem Arm frisch gewickelt. Gute, alte Zeit.
Seit Mami auf Gleichberechtigung pocht und Papi sie mehr oder weniger begeistert gewähren lässt, sind die Dinge wesentlich komplizierter geworden. Weil, gerade wenn beide berufstätig sind, sich die Zuständigkeiten ständig überlagern und jeder für sich das Gefühl hat, er tue mehr als der andere, ließe sich ausnutzen, müsse auch mal an sich denken. Dieses Bedürfnis ist besonders nachtaktiv, wenn beide endlich schlafen wollen. Wer kennt es nicht, das durchdringende »Nein, jetzt nicht«-Gefühl, wenn hartnäckiges, durch kein Ohropax zu verdrängendes Baby- und Kleinkindschreien in die erste Tiefschlafphase dringt. Und man sich bis auf die Knochen erschöpft erhebt und in das selig schlafende Gesicht seines Partners blickt. JETZT BIST DU MAL DRAN! Oder wenn man vor dem Zubettgehen das Kinderzimmer mühselig in einen Zustand gebracht hat, der wenigstens ansatzweise etwas mit Ordnung zu tun hat, und die entzückende Frucht unserer Lenden beim Abendessen einen Kakaobecher über den Küchentisch kippt. JETZT BIST DU MAL DRAN! Oder man in fröhlicher Runde beim Essen sitzt und Klein-Carla laut verkündet, dass sie »mal Kaka« muss.
Wer kennt ihn nicht, diesen kurzen, bedeutungsvollen Blickaustausch zwischen Mami und Papi? Wer gibt nach? Manchmal dauert dieser Austausch länger als ein kurzer »Kaka-Besuch« auf dem Klo.
In dieser Phase fühlen sich beide
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