Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
nach Beginn der Geschlechtsreife kommt er, der Schreckensmoment für alle Eltern. »Ich bin verliebt«, sagt unser Kind. Ein Satz, der die meisten von uns absolut eiskalt erwischt. Verliebt? Was soll das heißen? Haben wir nicht gerade erst die Babar-Plakate im Kinderzimmer aufgehängt? Die Pumuckl-Bettwäsche gewaschen? Den Kindergeburtstag mit Sackhüpfen und Wackelpudding gefeiert? Weiche, warme Kinderarme gespürt, die sich um unseren Hals schlangen? Und sich jetzt ganz offensichtlich um ein anderes Wesen schlingen, das verdruckst neben unserem Kind steht, uns nicht in die Augen sehen mag? Ein Fremdkörper, jedenfalls für uns.
»Freut mich, dich kennenzulernen«, sagen wir und meinen: »Mensch, verzieh dich bloß wieder, mein Kind ist noch nicht so weit.« Zu spät! Es ist egal, was wir sagen oder ob in China eine Tür zufällt. Auch wenn unser Sohn ein durch alle Körperöffnungen gepierctes Girlie ohne Schulabschluss knutscht. Oder unsere Prinzessin fünf Stunden täglich mit einem Bad Boy am Handy hängt, der zehn Jahre älter ist, eine eigene Wohnung und zwei Exfrauen hat. Wir müssen uns verziehen, denn im Liebesleben unserer Kinder spielen wir jetzt keine Rolle mehr.
Oskar Holzberg, Psychologe
Wir können nicht festhalten, wir müssen loslassen. Natürlich trauern wir, weil etwas Wichtiges verloren geht, Kinder erfüllen ja etwas, bringen etwas ins Leben. Das Loch, das entsteht, müssen wir uns anschauen und dann mit etwas Neuem füllen. Das ist nicht leicht, aber es ist machbar, und zwar in jedem Elternalter.
Eine schmerzliche Einsicht, aber eine notwendige, wenn wir den Platz im Leben unserer Kinder nicht gefährden wollen. Und bevor Sie jetzt lautstark protestieren, denken Sie doch einfach mal an Ihre eigene Jugendzeit zurück. Haben Sie seinerzeit auf Ihre Eltern gehört, als es um ihr Liebesleben ging? Haben Sie »Okay, Mutti, du meinst also, der arbeitslose Künstler, der wie ein junger Alain Delon aussieht, ist nichts für mich? Dann mach ich sofort Schluss mit ihm!« gesagt?
Also regen Sie sich nicht auf, es bringt nichts. Schauen Sie lieber nach, ob Sie noch eine gute Flasche Rotwein im Haus haben. Am besten eine ganze Kiste. Denn die nächsten Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, werden hart. Es wird knallen, und zwar an allen Ecken und Enden. Unser Hormonspiegel dümpelt, der unserer Kinder explodiert, und deshalb macht es PENG und KNALL, wenn die Verliebtheit anfängt, und PUFF, wenn sie wieder aufhört. Und immer müssen wir, die Eltern, uns optimal dazu verhalten. Dürfen weder »Sei froh, die passte doch gar nicht zu dir« sagen noch »Das hab ich dir doch gleich gesagt« oder gar »So einen Guten kriegst du nie wieder«. Egal, wie froh oder enttäuscht wir sind, nichts davon interessiert unser Kind, nichts ist von Belang. Wir sind als Sprungtuch gefragt, als Klagemauer – aber nicht als Ratgeber, vor allem nicht als Kritiker.
»Als meine Tochter mit fünfzehn zum ersten Mal einen jungen Mann mit nach Hause brachte,
fühlte ich mich wie ein alter Hund, auf dessen Revier plötzlich ein junger Hund seine Duftmarken setzte«, erinnert sich Raimund, 65, an das erste Liebesglück seiner Tochter. »Ich war gereizt, schlecht gelaunt, vor allem sehr traurig. Weil ich bis dahin der wichtigste Mann in ihrem Leben war und jetzt auf einmal nicht mehr. Das hat geschmerzt.«
Umgekehrt wurde für Marion, 51, ein Schuh daraus, als sich ihr Sohn, damals achtundzwanzig, von einer jungen Frau trennte, die für Marion »wie eine Tochter« gewesen war. »Es war Liebe auf den ersten Blick«, erinnert sie sich wehmütig. »Ihre Mutter war früh verstorben, bei uns klickte es einfach. Als mein Sohn mir eröffnete, dass er Schluss gemacht habe, weil er sich zu jung für eine feste Beziehung fühle, da hätte ich ihn ohrfeigen können.«
Wie Liebeskummer fühlt es sich oft für Eltern an, wenn ihre Kinder sich von Partnern trennen, die sie ins Herz geschlossen haben. Das Schlimme dabei ist: Niemanden interessiert es. Peinlich der Satz: »Es geht mir schlecht, weil sich meine Tochter von diesem jungen Mann getrennt hat, den ich auch so gern mochte!« Ja, es ist eine Zumutung, was da von uns verlangt wird. Und nein, wir haben damals auch nicht an unsere Eltern gedacht, wenn wir eine Liebe anfingen oder beendeten. Mutti fragen, ob Schluss sein darf? Absurde Vorstellung! Jetzt hätten wir es gern. Und arrangierte Ehen halten wir auf einmal auch nicht mehr für völlig veraltet.
Oskar Holzberg,
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