Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
Psychologe
So ist das Leben. Die Familie ist nun mal ein in sich geschlossenes System, das sich öffnet, um einen Fremden aufzunehmen, aus dem dann vorübergehend oder für immer ein Familienmitglied wird. Damit muss ein Erwachsener emotional umgehen können.
Das »geschlossene System«, das der Psychologe Oskar Holzberg beschreibt, klingt zwar einleuchtend, ist in der Praxis nur nahezu unmöglich zu realisieren, weil wir schließlich Menschen mit Gefühlen sind. »Ich habe zu den Liebschaften meiner Kinder oft ein von ihnen ganz unabhängiges Verhältnis entwickelt«, sagt Marion, »das manchmal sogar
besser war. Wenn es kriselte, habe ich mich nicht gescheut, meinen Kindern gut zuzureden. ›Komm, gib nach. Überall gibt es Probleme. Reiß dich zusammen.‹ Hat alles nichts genützt. Sie haben sich getrennt und von mir erwartet, dass auch ich einen Menschen, den ich mochte, sofort aus meinem Leben streiche. Was ich aus Liebe zu ihnen auch tat, aber mir hat oft das Herz geblutet. Inzwischen
bin ich abgehärtet und frage bei Neuzugängen nur noch: Muss ich mir auch diesen Vornamen merken oder kann ich ihn überspringen?«
Ja, so ist es leider. Was das Liebesleben unserer Kinder angeht, leben wir in unfreiwilliger Symbiose mit ihnen, ihre Gefühle, Wünsche und Entscheidungen sind ausschlaggebend, unsere zählen nicht. Sie agieren, wir reagieren. Oskar Holzberg nennt das die »frühkindliche Verabredung«, die »Ich bin deine Mami und egal, was du tust, ich bin immer für dich da« heißt und stets eingeklagt werden kann. Auch wenn unsere Kinder Partner haben, die man bei aller Liebe einfach nicht ausstehen kann. So wie es Angela, 48, mit ihrer Schwiegertochter ging. »Ich sah ihr ungeschminktes Gesicht, ihre langen, strähnigen Haare, ihre schluffigen Klamotten und ich dachte nur: Oh Gott, da hat mein Sohn aber total danebengegriffen! Es war tiefe Abneigung auf den ersten Blick und dabei blieb es. Zum Glück nur bis zur Trennung nach drei Jahren. Mein Mann und ich haben das mit einer Flasche Champagner gefeiert«, gesteht Angela. »Natürlich ohne unseren Sohn, der hätte das pietätlos gefunden.«
Zum Schluss noch ein Sprichwort: Selig ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist! Und dazu gehört eindeutig das Liebesleben unserer Kinder. Und weil das so ist, können wir nur eines tun: auf die gute Menschenkenntnis unserer Kinder vertrauen. Schließlich haben wir sie erzogen. Und wenn es ganz schlimm kommt – da war doch noch die Kiste Rotwein …
Gaby, 49, ein Sohn, 19
»Mein Sohn Noah ist ein Hübscher, schon immer gewesen. Er hat einen Kopf voller blonder Locken und geradezu unverschämt blaue Augen. ›Ganz der Vater!‹, habe ich oft gehört und kann es leider nicht bestreiten. Mein Ex und ich haben uns nach drei turbulenten Chaosjahren getrennt, aber ich werde ihm für seinen ›Nachlass‹, unseren Sohn, ewig dankbar sein. Obwohl die Jahre seit seiner Pubertät extrem anstrengend waren. Mit zwölf kam er von einem Schüleraustausch aus Paris zurück und hielt mir strahlend einen Zettel unter die Nase: ›Du bist sooo sexy!‹ hatte eine (wahrscheinlich von Tokio Hotel zum Deutschlernen inspirierte) junge Französin ihm da mitgeteilt. Ich fand das ein bisschen früh. Und ein bisschen zu direkt, mein Sohn war kaum im Stimmbruch.
Inzwischen ist er neunzehn und ich habe diverse Mädels kommen und gehen sehen. Manchmal bedauernd, manchmal erleichtert. Sein Liebesleben ist streckenweise so unübersichtlich und sprunghaft wie die Energiepolitik von Angela Merkel. Und von mir wird erwartet, dass ich immer mitschwinge, immer solidarisch bin.
Als ich vor einiger Zeit von einer Reise nach Hause kam, es war frühmorgens, fand ich ihn in weiblicher Gesellschaft, deutlich unter achtzehn, vor, obwohl er gerade anderweitig vergeben war. Ich setzte die junge Dame vor die Tür und sagte streng: ›Mehrgleisig ist nicht, das ist unfair!‹ Noah ist ausgerastet, hat mir hysterische Vorwürfe gemacht. Egal, so viel Solidarität mit meinen Geschlechtsgenossinnen musste sein. Ich weiß schließlich aus eigener Erfahrung mit seinem Vater, wie es sich anfühlt, wenn man betrogen wird. Wobei ich meinem Sohn die meisten unappetitlichen Details natürlich erspart habe.
Da mein Sohn und ich das aufbrausende Temperament teilen, vergingen die nächsten Wochen mit lauten Diskussionen zum Thema ›Wie viel Ehrlichkeit muss sein? Kann man nicht auch zwei Menschen gleichzeitig lieben? Geht mich sein Liebesleben überhaupt
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