Wer schlafende Hunde weckt
Lippen.
»Ich weiß nicht, wie es mit der ersten Hälfte ist, die zweite ist aber definitiv gelogen. In der letzten Zeit gibt es starke Spannungen: Jeder verdächtigt jeden. Das Gleichgewicht ist gestört, seit die Polizei sich eingemischt hat. Ich weiß, dass ich mich mit dieser Einschätzung nicht beliebt mache, da hier damals ziemliche Feierlaune geherrscht hat, aber auf lange Sicht werden sich diese Neuzugänge unserer Skalpsammlung womöglich als kontraproduktiv erweisen.«
Catherine wusste, dass sie nicht anbeißen durfte, aber sie hielt seinen salbungsvollen Ton ebenso wenig aus wie den plumpen Versuch, durch die Herabwürdigung der Leistungen anderer Polizisten über das Versagen seiner eigenen Einheit hinwegzutäuschen.
»Ich weiß nicht, für wen es kontraproduktiv sein soll, Drogendealer von der Straße zu holen, außer für die Dealer selbst. Es gibt hier sogar eine Strömung, die darauf hinweisen würde, dass Cairns und Fletcher in ein paar Monaten für mehr Verurteilungen gesorgt haben als Locust seit dessen Gründung. Natürlich müssen wir die lange Sicht im Auge behalten, aber wenn es nicht ab und zu mal Resultate gibt, glaubt irgendwann keiner mehr an die gute Sache.«
»Ich höre mich wohl ziemlich missgünstig an«, lenkte er mit der unermüdlichen Vernünftigkeit und rechtschaffenen Ruhe ein, bei der Catherine manchmal nur noch schreien wollte. »Wir sind doch alle Polizisten und wissen, wie wichtig es für die Moral ist, hin und wieder jemanden einzusperren. Cairns und Fletcher haben ein paar beeindruckende Erfolge eingefahren, und dagegen sage ich auch gar nichts.«
»Gut. Denn die beiden haben dazu zwei klassische Methoden der alten Polizeischule namens harte Arbeit und Eigeninitiative eingesetzt.«
»Sie haben ein paar zuverlässige Quellen an den richtigen Stellen aufgetan, und davor ziehe ich den Hut. Wenn die beiden aber ihre Informationen mit meiner Einheit geteilt hätten, wäre dabei sicher weit mehr herausgekommen als ein paar Verhaftungen aus dem Mittelbau und eine Pressekonferenz mit einem Haufen Drogen auf dem Tisch, um der Öffentlichkeit den Glauben an die gute Sache wiederzugeben, wie Sie so schön sagen.«
Dafür hätte Catherine ihm eine verpassen können. Immerhin besaß er den Anstand, sich für den Namen Locust zu schämen. Der stand zwar auf allen Dokumenten und Aushängen, aber Abercorn traute sich offensichtlich nicht, ihn vor richtig echten Polizisten auszusprechen und sagte lieber »meine Einheit«. Hätte sie den Posten bekommen, hätte sie den Namen wohl nie ohne Grinsen aussprechen können, das hatten sie also schon mal gemeinsam, aber er war trotzdem ein arroganter Wichser, und sie würde ihn wirklich gerne mal das Gleiche wiederholen hören, wenn Cairns und Fletcher dabei waren. Sie versuchte einen Moment, sich zu beruhigen, schaffte es aber nicht ganz.
»Ich hab nicht von der Öffentlichkeit geredet. Auch wir Polizisten brauchen kurzfristige Resultate. Selbst mittelfristige sind bei Locust wohl zu viel verlangt. Sie haben es ziemlich schnell ziemlich weit geschafft, Dougie, also kapieren Sie wahrscheinlich überhaupt nicht, wie die Welt für Leutewie Cairns und Fletcher aussieht, die schon seit Jahrzehnten da draußen ihre Arbeit machen. Fletchers Mutter ist altersdement und sein ganzes Geld geht für die Pflege drauf. Bob Cairns hat seinen drei Kindern die Uni bezahlt. Es gibt viele Polizisten wie die beiden. Die haben ihre dreißig Jahre hinter sich, stehen kurz vor der Pension und sind pleite, obwohl sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, und dann sehen sie jeden Tag die Dealer in ihren gepimpten Jeeps vorbeirollen und Geld verpulvern, als gäbe es kein Morgen. Die müssen eben ein paar Leute aus dem ›Mittelbau‹ einsperren, wenn nichts anderes drin ist, damit der Job für sie überhaupt irgendeinen Sinn ergibt.«
Abercorn nickte verständnisvoll, und sein Blick zeigte besänftigende Demut. Der Effekt mochte eiskalt kalkuliert sein, stellte aber trotzdem ein Friedensangebot dar.
»Ich weiß, was Sie meinen«, erwiderte er, doch Catherine hatte ihre Zweifel, ob er es überhaupt verstehen konnte.
»Also, wer war’s?«, fragte er. »Bei der McDiarmid-Sache, meine ich.«
»Tja, wie Sie schon gesagt haben, haben wir uns eingemischt und das Gleichgewicht gestört. Fullerton, Callahan, Cassidy, McLennan: Jeder von denen könnte sich gesagt haben, dass die Zeit gekommen ist, seine Position zu verbessern. Aber genauso gut könnte es ganz normale
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