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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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gearbeitet hatte, ohne Jasmine etwas zu sagen. War das vielleicht die »ziemlich heikle Sache«, wegen der Jasmine Freitag freibekommen hatte?
    »Tut mir leid, aber Jim ist gerade nicht im Büro.«
    »Ich weiß, ich hatte ihn ja auch auf dem Handy angerufen.«
    »Ach so. Er hat im Moment eine Weiterleitung laufen. Könnten Sie mir vielleicht sagen, worum es geht?«
    »Anne Ramsay«, sagte die Frau ungeduldig. Jasmine verstand leider etwas zu spät, dass das allein schon Antwort genug sein sollte.
    »Ja, aber könnten Sie mir vielleicht sagen, worum es in Ihrem Fall ging?«
    Diesmal konnte Jasmine keine feine Nuance der Antwort überhören.
    »Wollen Sie mich verarschen«, zischte die Frau, wohl gleichermaßen den Tränen und einem Wutausbruch nahe. »Das kann doch wohl nicht …«
    Es folgte eine kurze Pause, in der es sich anhörte, als würde die Frau den Rest nicht mehr herausbekommen, dann brach die Verbindung ab. Sie hatte aufgelegt.
    Na super, dachte Jasmine. Wenigstens wusste sie jetzt, dass sie autonom arbeiten konnte. Auch ohne Jims Hilfe lieferte sie das gleiche Resultat: Jasmine verbockt’s.
    Sie legte selbst auf und sah sich wieder die Anrufliste an. Jetzt wurde sie von Anne Ramsay angeführt, und der zehnteeingegangene Anruf war aus dem Speicher gelöscht. Sie sah, dass ihre eigenen von Jims Handy weitergeleiteten Anrufe zwei der Einträge bildeten, und war froh, dass sie nicht bei jedem Versuch so geduldig gewesen war.
    Sie schrieb die Liste zu Ende und versuchte, den Nummern Namen zuzuordnen. Die Liste der eingegangenen Anrufe hatte zwei Einträge weniger als die der ausgegangenen, weil Nummern von den Telefonanlagen großer Firmen meistens als »unbekannte Nummer« angezeigt wurden.
    Der vorletzte Anruf war vom Tag zuvor und kam von Galt Linklater. Sie fand die Nummer auch zweimal bei den ausgegangenen Anrufen und schrieb jedes Mal die Initialen daneben. Auch die Nummer von Hayden   –   Murray stand in mehreren Einträgen beider Listen.
    Als sie ihren Anruf an Jims Tochter Angela abgezogen hatte, blieben noch vier eingegangene und fünf ausgegangene Anrufe, die sie identifizieren musste. Auf gut Glück tippte sie sie alle bei Google ein und hatte bei einem Erfolg. Eine weitere Anwaltskanzlei, mit der Jim wohl zusammengearbeitet hatte.
    Jetzt musste sie die verbliebenen Nummern mit denen aus den Akten der letzten Aufträge abgleichen. Wenn dann immer noch welche offen waren, würde sie sie einfach anrufen und fragen, aber das wäre wirklich der allerletzte Ausweg. Wenn sie nichts Gutes im Schilde führten, würden Sie sicher nicht kooperieren. Und auch bei ganz normalen Leuten war die Frage, wer heutzutage noch einfach so am Telefon mit einem Fremden redet, wenn er nicht gerade schrecklich einsam ist und sich gerne den ganzen Tag mit Doppelverglasungsvertretern und Kreditvermittlern unterhält.
    Sie sah sich den Aktenstapel an. Einfach anrufen kam ihr plötzlich viel einfacher vor, als all das durchzuarbeiten, aber immerhin war sie dann eine Zeit lang beschäftigt und konnte sich einreden, dass sie etwas Sinnvolles zu tun hatte.

    Sie kochte sich einen Tee und machte sich an die Arbeit: methodisch, kleinschrittig, langweilig.
    Nach etwa vierzig Minuten wurde sie von einem Besucher unterbrochen. Dessen unerwartete Ankunft lenkte sie nicht nur von der Arbeit ab, sondern riss sie vor Schreck fast vom Stuhl.
    Er stand plötzlich da, als wäre er einfach magisch mitten im Büro erschienen. Jasmine schreckte zurück, was ihren Schreibtischstuhl ins Rollen brachte, und der Besucher wirkte selbst etwas überrascht.
    Man konnte die Tür vom Schreibtisch aus nicht sehen, denn eine Wand teilte den Bereich mit den Aktenschränken und dem Waschbecken ab, was dem Büro eine L-Form gab. Er hatte unten nicht geklingelt, war vielleicht hereingekommen, als jemand anders ging, und auch an der Bürotür hatte sie ihn nicht gehört. Im Büro selbst musste er sich leise und vorsichtig bewegt haben; er wirkte, als hätte er nicht damit gerechnet, hinter der Ecke jemanden zu finden, was wohl daran lag, dass es im Büro totenstill war.
    Er hielt sich eine Hand an die Brust, um seine eigene Erleichterung zu signalisieren, und lachte über den beiderseitigen Schrecken.
    »Tut mir leid, die Tür stand offen, und es war so still …«
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Jasmine, als sie sich wieder gefangen hatte.
    Er war ein älterer Herr, vielleicht etwas jünger als Jim. Er trug einen grauen Anzug, seriös, aber weiß

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