Wer schlafende Hunde weckt
spöttisch.
»Das findest du wohl witzig, Junge?«, fragte Bain aggressiv.
»Ja schon, ehrlich gesagt.«
»Dann komm doch her und sag’s mir ins Gesicht, anstatt da hinter deinem Gerät den großen Mann zu spielen!«
»Pflichtgefühl?«, fragte Ingrams und schaute über die Kamera.
Als er weitersprach, hatte sich sein Akzent wieder geändert.
»Du würdest doch nicht mal andere Leute kostenlos deine Fürze riechen lassen, wenn du dafür Geld verlangen könntest.«
Bain sprang wütend auf, doch in seinem Gesicht war auch eine verwirrte Vorsicht zu sehen.
»Raus mit euch! Tut mir leid, Kleine«, wandte er sich an Jasmine, »aber das muss ich mir in meinem eigenen Wohnzimmer nicht anhören. Und hör mir mal zu, du Großkotz, wenn ich zwanzig Jahre jünger wär, würd ich dich die Straße rauf und runter treten wie ’nen nassen Sack!«
Ingrams kam hinter dem Stativ hervor, baute sich in voller Größe auf und nahm die Mütze ab, sodass Bain endlich sein Gesicht richtig sah. Und das Gesicht hatte sich verändert. Es war noch das gleiche, aber in seinen Zügen stand jetzt eine düstere Brutalität, die Jasmine rückwirkend eine Heidenangst einjagte, weil sie die letzten beiden Tage mit diesem Mann verbracht hatte.
Auf Bain wirkte die Enthüllung noch viel dramatischer. Er stotterte, schnaufte, seine Beine gaben nach und er kippte wieder nach hinten in den Sessel.
»Du«, krächzte er, und sein Mund zuckte wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Du bist doch tot.«
»Mir geht’s wieder besser. Und vor zwanzig Jahren hättest du dir genauso vor mir in die Hose geschissen wie heute. Prügeleien waren genauso wenig deine Stärke wie selbstlose Hilfe bei der Polizei aus ›Pflichtgefühl‹. Kreditkartenbetrug, okay. Ein bisschen Hehlerei. Wagenladungen geschmuggelter Zigaretten von A nach B bewegen. Aber dich freiwillig als Zeuge melden? Ach komm, Wullie, du hast doch noch nie was gemacht, wo nichts für dich rausgesprungen ist.«
»Das ist alles vorbei«, sagte er. »Schon seit zwölf Jahren, seit ich wieder draußen bin. Ich arbeite jetzt im Baumarkt, bei B & Q. Ich dreh nichts Krummes mehr.«
»Damals aber schon. Das arme, kleine Mädchen, für das du das Ganze angeblich gemacht hast, denkt ihr ganzes Leben, ihre Familie hat sie verlassen. Fragt sich seit siebenundzwanzig Jahren, warum ihre Eltern es getan haben, kann nicht schlafen, weil du den Bullen deine Geschichte erzählt hast. Du warst an dem Tag überhaupt nicht an der Raststätte, oder?«
»Doch, ich schwör’s dir. Und ja, ich hatte wirklich was davon. Ich hab mich gemeldet, weil ich mir dachte, es schadet nicht, wenn ich bei der Polizei ’nen Stein im Brett hab. Ich hatte es damals ja nicht immer leicht mit denen.«
»Erzähl mir keinen Scheiß, Wullie. Das mit dem lila Tragebett hab ich mir nur ausgedacht. Ich weiß nicht, was das für ’ne Farbe war, aber du auch nicht. Aber du hast dir trotzdem schnell was ausgedacht, warum du sie dir angeblich gemerkt hast. Hör zu, wenn du mich anlügst, hast du’s nicht leicht mit mir, besonders, wenn du auch noch schlecht lügst.«
Ingrams ging langsam ein paar Schritte auf ihn zu. Bain sah verloren nach der Tür und dann nach Jasmine, doch was er sich von ihr erwartete, wusste sie nicht.
Er log wirklich schlecht, was einen die Frage stellen ließ, warum er es nicht einfach zugab. Die Antwort wurde Jasmine klar: Er hatte vor irgendetwas weit mehr Angst als vor dem Mann in seinem Wohnzimmer.
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich schwör’s, ich schwör’s, ich schwör’s«, bis es nur noch ein weinerliches Flüstern war, ein Mantra verzweifelter Unterwerfung.
»Ich glaub dir ja«, sagte Ingrams, was eine gewisse Erleichterung, aber auch starke Zweifel auslöste. »Nicht, dass du die Ramsays gesehen hast«, erklärte er. »Darüber lügst du schon seit siebenundzwanzig Jahren. Aber über eins lügst du nicht. Du hast gesagt, dass du noch nie Geld verlangt hast, um über die Sache zu reden, und das glaub ich dir. Die Zeitungen sind zu dir gekommen, du hast dich nie um sie bemüht, weil du nicht wolltest, dass sie misstrauisch werden. Aber du bist heute trotzdem nicht zum ersten Mal dafür bezahlt worden, dass du die Geschichte erzählst, oder?«
Ingrams schob das Stativ zusammen und schraubte es langsam aber stetig von der Kamera. Jasmine wollte sich gar nicht vorstellen, was er damit vorhatte, aber Bain war seine rege Fantasie anzusehen.
»Wer hat dir gesagt, dass du lügen sollst,
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