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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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etwas auf den Spiegel geschrieben. Das habe ich wahrscheinlich halluziniert. Aber dies … dies ist geschehen. Ich hab es gehört. Man kann sich nicht einen kompletten Telefonanruf ausdenken.«
    »Der Anruf erschien also realer?«
    »Nein, beides erschien gleichermaßen real. Aber das andere – ich meine, Loretta sagte, unter dem Einfluss der Medikamente …« Ich brach ab. Ich sah an seinem Gesicht, wie es klang. »Vielleicht war beides wirklich.«
    Er blickte mich kurz an.
Oder vielleicht war beides Einbildung.
    Mein Gott, hatte ich den Anruf halluziniert? Nein. Er hatte stattgefunden. Hatte er. Wirklich.
    Er blickte Loretta an. »Und Sie mussten gerade eine zusätzliche Dosis Schmerzmittel verabreichen?«
    »Ja, es gab ein Problem mit der Infusion, deshalb musste ich ihr eine separate Spritze geben, bis wir dafür gesorgt hatten, dass die Infusion wieder funktioniert.«
    Das stimmte. Ich hatte zusätzliche Medikamente bekommen. Aber – »Es kam mir so wirklich vor.«
    Dr. Tan nickte. »Das ist häufig der Fall bei Wahnvorstellungen, denn es sind Projektionen des mächtigsten Teils unserer Psyche.« Nachdem er eine Weile in meiner Akte gelesen hatte, sagte er: »Ich sehe, Sie haben keine Erinnerung an das, was Ihnen geschehen ist?«
    »Einige Teile kommen allmählich wieder, aber das meiste nicht. Der Arzt sagt, das wäre normal.«
    »Es ist nicht ungewöhnlich, dass in traumatischen Situationen selektiver Gedächtnisverlust auftritt. Häufig verdrängen wir Dinge, auf deren Erinnerung wir noch nicht vorbereitet sind. Das hinterlässt Lücken, und wir versuchen sie auszufüllen, häufig mit erfundenen Geschichten. In diesem Fall ist wahrscheinlich in jener Nacht etwas geschehen, über das nachzudenken Sie noch nicht bereit sind. Unter dem Druck, es zu verdecken, produziert Ihre Psyche Phantasien. Es ist wie ein künstlicher Nebelschleier, Irreführung.«
    »Was denn? Was könnte passiert sein?«
    »Das müssen wir zusammen herausfinden. Je schwieriger es ist, mit etwas umzugehen, desto tiefer wird es vergraben. Die Tatsache, dass es eine Verbindung zwischen diesen Vorfällen und dem Wiedererlangen Ihrer motorischen Fähigkeiten gibt, ist ungeheuer wichtig. Zum Beispiel vermute ich, dass die Botschaft, die Sie auf dem Spiegel gesehen zu haben glauben, Ausdruck für etwas tief in Ihrem Innern war. Als Sie sie sahen, erlangten Sie Ihre Stimme wieder.«
    »Die Botschaft war ›Du hättest sterben sollen, Schlampe‹. Sie meinen also, ich wollte tot sein?«
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich meine Mutter erhob, aber Joe legte eine Hand auf ihre Schulter und sie setzte sich langsam wieder hin.
    »Man braucht es nicht so isoliert zu betrachten. Es könnte eher eine Furcht als ein Wunsch sein. Wir wissen nur, dass es ein starker Impuls ist.«
    »Und den Anruf, meinen Sie, habe ich auch halluziniert. Die Stimme sagte, sie würde kommen und mich töten. Will ich mich also selbst töten?«
    Meine Mutter stand wieder halb auf und jetzt sprach Dr. Tan zu ihr.
    »Ich denke, Janes Unterbewusstsein hat eine Menge zu verarbeiten. Jane will vielleicht nicht sich selbst töten, aber einen Teil von sich selbst.« Er wandte sich wieder an mich. »Einen Teil, den Sie nicht mögen?«
    »Oder den Telefonanruf könnte es
wirklich
gegeben haben und jemand ist tatsächlich darauf aus, mich zu
töten
. Ist das nicht die einfachere, rationalere Erklärung?«
    »Einfacher, ja.
Rational
ist ein schwieriger Begriff.« Er tätschelte meine Hand. »Wir sollten über heute Morgen sprechen. Ist heute irgendetwas Ungewöhnliches passiert, das diese Vorfälle ausgelöst haben könnte?«
    »Ich bin im Krankenhaus, um mich davon zu erholen, dass ich von einem Auto angefahren wurde. Alles ist ungewöhnlich.«
    »Ich will es anders formulieren. Gab es heute eine Begegnung mit jemandem, von der Sie überrascht waren? Unangenehm berührt waren? Wenn wir den Katalysator finden, der die Wahnvorstellung heute Morgen ausgelöst hat, können wir vielleicht verstehen, was Sie verdrängen.«
    Mir gefiel das Wort
Wahnvorstellung
nicht. Ich beschloss, Dr. Tan nicht zu erzählen, wie merkwürdig David gewesen war oder wie verletzend es war, dass Nicky gesagt hatte, dass ich sie betäubt hätte, oder von Langley, die mir erzählt hatte, dass ich auf der Party offenbar mit David Schluss machen wollte. An nichts davon erinnerte ich mich, und alles erschien mir merkwürdigerweise falsch, als würde es mich jucken, ich könnte aber die Stelle zum Kratzen nicht

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