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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Aberdas sagt sich so leicht; sie kriegt diese Mischung jedenfalls nicht hin, nicht bei ihrem Sohn. Ihre Liebe ist einfach zu groß,
     sie ist derart umfassend, dass sie zur Bedrohung für seine Eigenständigkeit wird. So sieht sie sich dabei zu, wie sie einen
     Fehler nach dem anderen begeht, dabei immer mehr seinen Respekt verliert, und sich trotzdem nichts ändert, weder bei ihr noch
     bei ihm, als wären sie beide in einer Zeitschleife gefangen, die sie zwingt, immer wieder dieselben idiotischen Diskussionen
     zu führen.
    Sie schließt die Augen eine Sekunde lang, dann ist die Ampel grün, und Autofahrer hupen hinter ihr.
    Sie lässt ihr Fenster herunterfahren und sieht zum ersten Mal an diesem Tag, dass der Himmel ganz blau und hoch und weit ist.
     Es kommt ihr vor, als hätte ihr jemand eine Augenbinde abgenommen. Auf einmal bekommt sie gute Laune, scheint alles ganz leicht
     zu gehen, entdeckt sie einen Parkplatz nicht weit von ihrer Wohnung und stellt das Auto dort ab, obwohl sie einen Tiefgaragenplatz
     im selben Haus besitzt. Aber ihr seltenes Stimmungshoch muss genutzt werden; allzu schnell kann es sich in einem diffusen,
     nebligen Grauschleier auflösen. Also steigt Pilar aus, spürt die warme Luft auf ihren nackten Armen wie ein Streicheln, nimmt
     ihre Sachen und schlendert durch die Straße mit ihren kleinen Cafés und Geschäften und fühlt sich so leicht und froh, dass
     sie in einen Laden geht und sich nicht nur eine enge schwarze Hose, sondern auch ein paillettenbesetztes Top kauft, das ihren
     Busen so betont, dass er straff wirkt, aber nicht zu sehr auffällt.
    Mit der Tüte und ihrer Aktentasche beladen begibt sie sich wieder auf die Straße, und blinzelt in die Sonne, denkt absichtlich
     nicht an Philipp, sondern überlegt, ob sie noch einen Kaffee trinken soll, als eine Stimme ihren Namen ruft, was sie am liebsten
     ignoriert hätte. Wahrscheinlichist es Gina, die hier in der Nähe wohnt und zu den Leuten gehört, die sie seit der Trennung von Paul auf keinen Fall wiedersehen
     wollte. Aber dann dreht sie sich doch um, von ihrer Mutter schon als kleines Mädchen auf gute Manieren gedrillt (»Wahre Höflichkeit
     beweist sich immer dann, wenn sie unbequem ist«), und tatsächlich sitzt Gina an einem runden Tischchen, vor sich ein großes
     Glas Latte Macchiato.
    Sie ist allein.
    Sie wird sich zu ihr setzen müssen.
    Das ist schon in Ordnung, redet sich Pilar ein, auch wenn sie keine besondere Lust dazu hat. Aber jetzt in eine leere Wohnung
     zu kommen und festzustellen, dass Philipp immer noch nicht da ist, obwohl er fest versprochen hat, gleich nach der Schule
     seine Hausaufgaben zu machen, würde noch weniger Spaß machen. Also setzt sie sich hin, stellt ihre Aktentasche und die Tüte
     mit ihren Einkäufen neben ihren Füßen ab, wischt mit einer geistesabwesenden Bewegung ein vertrocknetes Blatt vom Tisch, wobei
     Ginas Augen jede ihrer Bewegungen verfolgen. Pilar weicht ihrem Blick beharrlich aus, nicht aus Verlegenheit, sondern weil
     sie diese Neugier nervt, diese Missgunst, die sie in Gina schon immer vermutet hat, ohne dass sie jemals einen Beweis dafür
     hätte anführen können, weshalb ihr Paul Eifersucht unterstellt hat. Aber das ist es nicht gewesen, ganz und gar nicht, sie
     hat überhaupt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Gina spielt in einer ganz anderen Liga als sie, wer Gina attraktiv findet,
     würde sich niemals für Pilar interessieren und umgekehrt. Wobei das nur die nette Variante von Pilars ehrlicher Meinung ist,
     nämlich, dass Gina ihr nicht das Wasser reichen kann. Gina hat ähnlich dichtes dunkles Haar wie Pilar, aber ihre Haut ist
     viel heller, sie ist einige Jahre älter, und das sieht man heute ganz besonders deutlich, weil sie einen nachtblauen Pulloverund eine graue Stoffhose trägt, die sie noch blasser wirken lassen, während ihr Mund auffallend rot geschminkt ist. Ihr Aussehen
     und ihre Wirkung wechseln von einer zur nächsten Sekunde wie ein Vexierbild. Genau der Typ Frau, den neunzig Prozent aller
     Männer zu anstrengend finden, um sich näher mit ihm einzulassen. So jedenfalls sieht das Pilar.
    »Wie geht’s dir?«, fragt Pilar, nachdem sie einen Kaffee bestellt hat, Gina sie weiterhin ausgiebig mustert, und Pilar beschlossen
     hat, das zu ignorieren.
    »Ich habe gerade mit Pauls Eltern telefoniert«, sagt Gina, als wäre das eine bahnbrechende Neuigkeit, und wie üblich spricht
     sie langsam und sorgfältig, ohne den geringsten Anflug von

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