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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Dialekt, beinahe wie eine übermäßig um Integration bemühte Ausländerin.
     Vielleicht liegt es ja nur an dieser gemessenen Art, dass man nie genau weiß, woran man mit ihr ist, dass man hinter ihren
     Worten immer etwas Ungesagtes, möglicherweise Beleidigendes vermutet.
    »Ja, die armen«, fährt Gina fort. »Sie sind vollkommen am Boden zerstört. Es war ja ihr einziger Sohn.«
    »Ich weiß«, sagt Pilar, und sie kann nicht verhindern, dass sich ein drohender Unterton in ihre Stimme schleicht, der Gina
     bestimmt nicht entgeht. Sie zündet sich eine Zigarette an, obwohl sie die vorige gerade eben erst ausgedrückt hat, und bläst
     den Rauch über Pilar hinweg, betont langsam, geradezu angestrengt lässig. Dann fragt sie: »Wie geht es deinem Sohn?«, in einem
     Plauderton, der so falsch klingt, dass Pilar innerlich erschauert.
    »Meinem Sohn?«, wiederholt sie, und spürt, wie sich alles in ihr zusammenzieht. Gina hat sich nicht für ihren Sohn zu interessieren,
     jemand wie sie sollte sich um ihren eigenen Kram kümmern, selbst ein Kind kriegen und dabei feststellen, wie unglaublich schwer
     es ist, immerdas Richtige zu tun. Aber all das kann sie ja schlecht sagen, also hält sie ihr Lächeln auf dem Gesicht fest und hofft, dass
     sich bald eine Gelegenheit bieten würde, zu gehen.
    »Ja, heißt er nicht Dennis, oder so ähnlich?«
    »Philipp.«
    »Richtig. Wie geht es ihm?«
    »Gut, danke.«
    »Ist er nicht gerade sechzehn geworden?«
    »Seit drei Monaten. Warum interessiert dich das?«
    »Nur so. In dem Alter sind sie sicher   … schwierig.«
    »Wie meinst du das? Du kennst ihn doch überhaupt nicht.«
    »Ich meine das ganz allgemein. Sechzehn ist doch ein schwieriges Alter, oder nicht?«
    »Philipp ist nicht schwierig«, sagt Pilar mit schwer erkämpfter Beherrschung. Was geht diese Frau das an? Als hätte Gina das
     endlich begriffen, wechselt sie urplötzlich das Thema und sagt: »Ich wollte dich noch etwas ganz anderes fragen.« »Was denn?«,
     fragt Pilar, obwohl sie die Antwort eigentlich gar nicht hören will, denn es geht bestimmt um Paul.
    Sie fischt ihre Sonnenbrille aus der Manteltasche, ein Dolce & Gabbana-Modell mit sehr dunklen Gläsern, das ihr
     Paul im Frühsommer geschenkt hat, auf ihrer letzten gemeinsamen Italienreise. Ein vergiftetes Geschenk, weil es dazu gedient
     hat, von dem Heiratsantrag abzulenken, der nicht kam. Kaum hat sie die Brille auf, sieht sie Pauls Gesicht wieder vor sich,
     so klar und gegenwärtig wie eine Vision, und sofort beginnen Pilars Augen hinter der Brille zu brennen, scheint sie förmlich
     zusammenzusacken unter der Schuld, die sie auf sich geladen hat.
    »Es ist eigentlich nicht so wichtig«, hört sie Ginas Stimme von weit her, »aber es würde mich wirklich interessieren,und du musst mir sagen, ob dir die Frage zu intim ist.«
    »Natürlich«, sagt Pilar mit Nachdruck, während sich Pauls Bild im Nichts auflöst.
    »Natürlich was?«
    »Natürlich ist mir die Frage zu intim. Wenn du schon so anfängst, ist sie das bestimmt.« Und mitten in ihrem Triumphgefühl
     registriert sie Ginas ehrlich verblüfften Gesichtsausdruck, der diesmal so echt ist, dass sich Pilar zum ersten Mal ernsthaft
     überlegt, ob sie ihr gegenüber nicht zu empfindlich ist. Gina war irgendwann mal Pauls Freundin, rein platonisch, hieß es,
     aber Pilar hat nie durchschaut, was zwischen den beiden wirklich vorgefallen ist. Sie hat der Sache immer misstraut. Paul
     hat ihr versichert, dass er nie mehr von Gina wollte, und das kann stimmen oder auch nicht. Und diese Unsicherheit war es
     dann auch, die sie von Paul fortgetrieben hat, nicht nur die Unsicherheit, was Gina und ihn betrifft, sondern ganz allgemein
     das Gefühl, auf Treibsand zu stehen, nie genau zu wissen, was Paul wirklich wollte, welche Ängste und Träume er nicht mit
     ihr teilte.
    Du vertraust mir nicht
, hat Paul gesagt. Genauso ist es gewesen, und möglicherweise wird sie nie erfahren, ob sie damit recht hatte oder nicht.
     Aber jetzt ist es egal.
    Da sagt Gina: »Du traust mir nicht.« Und Pilar antwortet, endlich einmal jede Höflichkeit wegwischend: »Genau.«
    »Verstehe«, sagt Gina, noch eine Schattierung bleicher als vorher. Ihr roter Lippenstift wirkt wie ein deplatzierter Farbklecks
     auf ihrem weißen Gesicht, und ein, zwei Sekunden lang sieht sie aus wie eine alte Frau, verletzt, schwach und bekümmert, eigentlich
     bemitleidenswert. Aber Pilar kann darauf keine Rücksicht nehmen, muss die Gunst der

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