Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
bestohlen worden war, und ich durfte nicht riskieren, dass irgendein flinkfüßiger Dieb mir das Tagebuch aus den Händen riss und wegrannte.
Während ich mich auf das Lesen konzentriert hatte, war mir nicht bewusst gewesen, dass das Wetter draußen immer schlimmer geworden war. Wie es schien, hatte sich der Nebel viel schneller herabgesenkt, als Bessie vorhergesagt hatte. Die Sicht war bereits behindert, und ich konnte die Häuser auf der anderen Seite des Dorset Square kaum noch erkennen. Weder Kinder noch Kindermädchen waren heute in dem kleinen Park zu sehen. Niemand würde freiwillig nach draußen gehen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Die Nebelschwaden kühlten meine Wangen rasch aus. Sie trugen einen Geruch nach Kohlefeuer und Schwefel mit sich. Ich eilte weiter. Winzige Schmutzflecken vermehrten sich wie durch Geisterhand auf meiner Garderobe, kondensierter Ruß aus der Luft. Andere unerschrockene Fußgänger und ein paar Pferdefuhrwerke tauchten geisterhaft aus dem gelblichen Nebelschleier auf und verschwanden wieder. Das Geklapper der Pferdehufe klang eigenartig gedämpft.
Die schlechte Sicht führte zu einer Begegnung, der ich um beinahe jeden Preis ausgewichen wäre, hätte es eine rechtzeitige Vorwarnung gegeben. Im trüben Licht näherte sich mir eine dunkle Gestalt, und trotz der Schwierigkeiten, die alle übrigen Fußgänger hatten, bewegte sie sich voller Zuversicht und Selbstvertrauen. Zu meinem wachsenden Entsetzen nahm sie nach und nach die stattlichen Umrisse von Dr. Tibbett an. Meine Stimmung sank, doch es war zu spät. Er hatte mich gesehen. Ich blieb stehen und wartete, während er immer näher und näher kam, bis er schließlich vor mir stand.
»Nun, Miss Martin«, sagte er auf seine unangenehme Art. »Eine weitere unerwartete Begegnung. Sie wandern umher, wie Sie gerade Lust und Laune haben, will mir scheinen. Dürfte ich erfahren, was Sie bei diesem unwirtlichen Wetter nach draußen führt?«
»Ich suche einen Nähladen«, antwortete ich, als ich mich an den Grund für meinen Besuch in der Oxford Street erinnerte, wo ich Tibbett beim letzten Mal begegnet war. »Ich nehme an, es gibt einen ganz in der Nähe.«
Ich war ziemlich sicher, dass Dr. Tibbett sich nicht gut genug mit Kurzwarengeschäften auskannte, um mir zu widersprechen.
Er versuchte es auch erst gar nicht, obwohl er mir offensichtlich nicht glaubte. Stattdessen rümpfte er missbilligend die Nase. »Das ist sehr unklug«, stellte er fest. »Der Nebel legt sich auf die Lunge und führt zu ernsten Stauungen.«
»Umso mehr überrascht es mich, Sie hier zu sehen!«, entgegnete ich mutig. »Ein Gentleman Ihres Alters sollte noch viel vorsichtiger sein bei diesem Wetter als ein junger Mensch.«
Er bedachte mich mit einem Blick von unverhohlener Abneigung. »Ich bin auf dem Weg zu meiner lieben Freundin Mrs Parry. Ich bin überrascht zu sehen, dass Sie Ihre Wohltäterin an einem so tristen Tag im Stich gelassen haben.«
»Ich habe Tante Parry nicht im Stich gelassen«, widersprach ich. »Sie ist krank und leidet unter schlimmen Kopfschmerzen. Sie ist den ganzen Tag in ihrem Zimmer geblieben. Sie werden enttäuscht sein, wenn Sie bei ihr zu Hause läuten, Sir. Wie gut, dass ich Sie getroffen habe, Dr. Tibbett«, besaß ich die Frechheit hinzuzufügen, doch ich war so wütend auf ihn, dass ich der Verlockung nicht widerstehen konnte. »Auf diese Weise konnte ich Ihnen einen überflüssigen Weg ersparen.«
»Ganz im Gegenteil«, konterte er unverzüglich. »Mein Weg ist alles andere als überflüssig, Miss Martin, weil ich Sie nun nach Hause begleiten kann.«
»Aber ich habe Ihnen bereits gesagt …«, begann ich indigniert.
Er hob eine majestätische Hand, und ich schwieg verblüfft. »Kein Wenn und Aber, Miss Martin! Ich werde nicht dulden, dass Sie an einem Tag wie diesem Ihre Gesundheit riskieren! Kein Besuch bei einem Kurzwarenladen kann so dringlich sein. Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?«
Seine Worte wurden von der entsprechenden Geste begleitet.
»Nein, Sir, das dürfen Sie nicht«, antwortete ich mit Nachdruck. »Es mag unangenehm sein draußen, doch ich bin durchaus in der Lage, selbst auf mich aufzupassen. Sie haben Ihre Meinung über mich recht deutlich gemacht. Ich werde Sie nicht mit meiner Gesellschaft belästigen! Guten Tag, Sir.«
Mit diesen Worten wandte ich mich ab und rannte blindlings über die Straße, darauf vertrauend, dass der Verkehr bei dieser schlechten Sicht im Schneckentempo fuhr.
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