Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
»Gütiger Himmel!«, rief sie aus, als ich fertig war. Dann wurde sie nachdenklich und trommelte erneut mit den dicken Fingern auf der Damasttischdecke. Ohne Vorwarnung hob sie schließlich den Kopf und lächelte mich mit umwerfendem Wohlwollen an. Ich spürte, wie meine Entschlossenheit vor diesem Blick schwand.
»Liebste Elizabeth«, sagte sie. »Was für eine außerordentliche Geschichte und in der Tat, was für ein außerordentlich glücklicher Zufall! Ich bin sicher, der Inspector weiß um seine Verpflichtung dir und deiner Familie gegenüber – und deinen Freunden.« Ich hätte nicht geglaubt, dass ihr Lächeln noch breiter werden konnte, doch genau das passierte nun. Es spiegelte sich allerdings nicht in ihren Augen, die so scharf blickten wie die einer Dohle, die einen glänzenden Schatz erspäht hat.
Ich konnte ihren Blick nur voller Bestürzung erwidern. Ich hatte versucht, mir verschiedene Reaktionen auf mein Geständnis vorzustellen, doch das hier war mir nicht in den Sinn gekommen. Tante Parry sah meine lose Verbindung zu Ross als einen Vorteil, den es auszunutzen galt. Ich hatte vergessen, dass Frank mir erzählt hatte, sie wäre eine Geschäftsfrau, und es war mir nicht einmal dann wieder eingefallen, als ich sie mit Fletcher zusammen gesehen hatte.
»Tan… Tante Parry«, begann ich stockend. »Ich kann den Inspector nicht … nicht um Gefälligkeiten bitten, was seine Ermittlungen angeht.«
Der scharfe Blick verschwand aus ihren Augen, und nur Wohlwollen blieb zurück. »Selbstverständlich nicht, Elizabeth, meine Liebe!«, sagte sie rasch. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und tätschelte meinen Arm. »Selbstverständlich nicht. Du darfst mich nicht missverstehen. Doch es ist immer besser, das Ohr eines Freundes zu haben, als wenn man es mit einem völlig Fremden zu tun hat, nicht wahr?«
KAPITEL DREIZEHN
Ben Ross
Am Samstagmorgen rief Dunn Morris und mich zu einem Kriegsrat zu sich, oder jedenfalls war das der Eindruck, den ich hatte. Ich konnte nicht umhin, uns als einen Teil von zwei Bataillonen von Bleisoldaten zu betrachten, die an einem Spieltisch aufgereiht waren. Die Midland Railway Company hatte ihre Farben auf der einen Seite des Grabens gehisst, und der Scotland Yard war auf der anderen in Stellung gegangen. Zwischen uns lag, bildlich gesprochen und vielleicht auch physisch, der Leichnam von Madeleine Hexham. Die sterblichen Überreste der unglücklichen jungen Frau waren inzwischen in einem Armengrab beigesetzt worden. Es gab niemanden, den man wegen einer besseren Bestattung hätte ansprechen können. Unter den gegebenen Umständen wäre es reine Zeitverschwendung gewesen, an Madeleines frühere Arbeitgeberin heranzutreten. Nun lag sie neben Dieben und Vagabunden, doch ich war fest entschlossen, ihr ein besseres Andenken zu verschaffen. Ich wollte herausfinden, wer sie umgebracht hatte … falls man mir erlaubte, das zu tun.
»Ich habe schon wieder einen Brief von der Midland Railway Company erhalten«, sagte Dunn und deutete mit ärgerlicher Geste auf ein Schriftstück, das auf seinem Schreibtisch lag.
Ich hatte bereits den offiziellen Briefkopf der Gesellschaft bemerkt, und obwohl ich von der Stelle, wo ich stand, nicht lesen konnte, was sie geschrieben hatten, so konnte ich es mir doch sehr wohl denken.
»Sie hoffen, dass wir unsere Ermittlungen an der Baustelle des neuen Bahnhofs sehr bald abschließen werden. Sie sind inzwischen fast fertig mit den Abrissarbeiten, und die Arbeit an dem neuen Gebäude muss planmäßig beginnen. Ich muss zugeben, dass der Brief nicht ganz unvernünftig klingt. Sie können einfach nicht begreifen, warum wir immer noch Constables auf der Baustelle haben, die ihre Arbeiter belästigen, wie sie es nennen. Ich frage mich allmählich selbst, warum das so ist. Haben wir bisher irgendetwas aus den Befragungen dieser Leute gewonnen?«
Dunn schob den Brief der Eisenbahngesellschaft von sich, strich sich mit der Hand durch die Haare und richtete seinen Blick plötzlich und sehr direkt auf mich.
Ich habe immer geglaubt, dass Mrs Dunn jeden Morgen an der Haustür steht, um zu überprüfen, ob ihr Ehemann das Haus mit gekämmten und pomadisierten Haaren verlässt, weil er im Allgemeinen mit ordentlicher Frisur zum Dienst erscheint. Es dauerte selten lange, bis es zerzaust war. Im Augenblick sah es aus wie die aufgerichteten Stacheln eines Igels, der sich eingerollt hatte. Der Eindruck wurde noch durch die Tatsache verstärkt, dass der Superintendent
Weitere Kostenlose Bücher