Wer sich nicht fügen will
Vernehmungen jedoch intensiv fortgesetzt wurden. Ich bemühte mich, meine Worte klug abzuwägen, denn im günstigsten Fall konnten die Medien unsere Ermittlungen wesentlich unterstützen, wenn man jedoch ungeschickt vorging, konnte man sie sich auch zum Feind machen, und an Feinden hatte ich keinen Bedarf. Glücklicherweise gab es immer noch Journalisten, die nach der Wahrheit suchten, anstatt nur Schlagzeilen nachzujagen.
Als ich mein Statement beendet hatte, brach eine wahre Flut von Fragen über mich herein.
»Wissen Sie schon, weshalb Lulu Nightingale ermordet wurde?«, begann der Reporter eines Lokalsenders, und der Vertreter des Finnischen Nachrichtenbüros hakte nach: »Besteht eine Verbindung zwischen Nightingales Tod und der Kuppelei in der russischen Handelsvertretung, die Anfang des Jahres aufgedeckt wurde?« Der Reporter der einen Boulevardzeitung erkundigte sich nach Lulus Kunden. Für diese Menschen war Lulu Nightingale nicht einfach eine Hure, deren Tod man mit einem Achselzucken quittieren konnte. Allerdings konnte ich nicht umhin, an meine vorige Pressekonferenz kurz vor Weihnachten zu denken, bei der es um einen Mord in einer Gruppe von Obdachlosen gegangen war. Ein einziger Reporter war gekommen. Obdachlose hatten keinen Medienwert.
Als die Pressekonferenz schließlich endete, war ich einigermaßen zufrieden mit mir. Wenigstens hatte man mich nicht in Stücke gerissen. Ich holte Koivu an der Bushaltestelle in Westend ab und fuhr mit ihm nach Haukilahti. Das Haus der Saarnios lag auf einem Felsen etwas abseits vom Ufer, doch als wir hinauffuhren, stellten wir fest, dass man auch von hier aus Meeresblick hatte. Es war prachtvolles Wetter, die Eisfläche wimmelte von Skiläufern, Spaziergängern und Eislochanglern, denen ich mich am liebsten angeschlossen hätte. Eine Amsel schlüpfte in ein Futterhäuschen. Der Frühling hatte so viel Verspätung, dass ich das erste Zwitschern der Amseln, auf das ich Jahr für Jahr wartete, bisher noch nicht gehört hatte.
Ich drückte auf die Klingel. Riitta Saarnio öffnete uns die Tür. Sie wirkte immer noch schwach, als müsste sie alle ihre Kräfte mobilisieren, um uns die Hand zu geben. Dennoch hatte sie es geschafft, sich leicht zu schminken. Das braun und grau melierte glatte Haar fiel ihr auf die Schultern. Sie trug eine Baumwollhose, einen hellen Pullover und flache Hausschuhe. Vielleicht war sie einer der Menschen, die Wert darauf legen, nach außen gefasst zu wirken, selbst wenn in ihrem Innern Chaos herrscht.
Wir wurden in ein großes Wohnzimmer geführt. Riitta Sainio bat uns, Platz zu nehmen, und fragte höflich, ob sie uns Tee anbieten dürfe. Obwohl ich wusste, dass Koivu immer hungrig und durstig war, lehnte ich für uns beide dankend ab, denn ich wollte das Gespräch möglichst schnell hinter mich bringen.
»Es ist mir peinlich, dass ich so hysterisch reagiert habe«, sagte Riitta Saarnio verlegen und schob Koivu die Obstschale hin, die auf dem Tisch bereitstand. Er nahm eine Banane und schaltete den Laptop ein.
»Der Anblick einer Leiche ist selbst für Profis oft ein Schock«, erwiderte ich.
»Trotzdem hätte ich nicht einfach so ins Studio laufen und die Show platzen lassen dürfen! Ich hätte einfach sagen sollen, der letzte Gast sei erkrankt. Ilari hätte die Situation schon gemeistert, der wird mit allem fertig.«
Es tat mir leid, Riitta Saarnio unterbrechen zu müssen, aber eine offizielle Vernehmung erforderte nun einmal gewisse Formalitäten. Nachdem diese erledigt waren, berichtete Frau Saarnio, sie sei gegen sechs Uhr ins Studio gekommen und habe von Länsimies erfahren, dass Lulu Nightingale sich selbst schminken wollte.
»Nuppu empfand das als Kränkung, sie weiß, was sie wert ist. Ihre zweijährige Tochter war krank, und Nuppu wollte sie nicht länger als nötig bei der Babysitterin lassen – sie ist Alleinerziehende. Weil sie eine gute und preiswerte Maskenbildnerin ist, bemühen wir uns auch, flexibel zu sein. Also habe ich ihr erlaubt, früher zu gehen. Mein offizieller Titel lautet zwar Produzentin-Regisseurin, aber ich brauche nicht die ganze Zeit aufzupassen, was Ilari und die Kameraleute tun. Hauptsächlich achte ich darauf, dass die Kameras nicht ständig nur auf Ilari und die bestaussehende Gesprächsteilnehmerin gerichtet sind und dass auch die Reaktionen der anderen Gäste gezeigt werden, wenn jemand spricht. Auch Ilari war einverstanden, als ich sagte, ich könnte den letzten Gast ins Aufnahmestudio
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