Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
Vom Netzwerk:
anschaffen, oder gar eine Schwesterntracht? Die Vorstellung war beklemmend.
    Ich hatte Virve nie gesehen, wusste nur, dass sie etwa zehn Jahre jünger war als ich und lange vor ihrem dreißigsten Geburtstag promoviert hatte, ein Wunderkind der Wirtschaftswissenschaft. Ich stellte sie mir als selbstsichere Blondine vor, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Ursula besaß. Antti hatte Handy und Brieftasche auf dem Tisch liegen gelassen. Ich öffnete die Brieftasche, aus der ich schon oft – mit seiner Zustimmung – Geld genommen hatte. In der Plastikhülle sah ich die vertrauten Fotos: unser Hochzeitsbild und die neuesten Schul- und Kindergartenfotos von Iida und Taneli. Ich schob die Hand unter die Bilder und entdeckte ein weiteres Foto, das jedoch die Kinder zeigte. Es war vor zwei Jahren gemacht worden; Tanelis Augen waren riesig, er sah aus wie ein außerirdisches Wesen.
    Die Brieftasche enthielt außerdem Sechsundsechzig Euro, Anttis Kreditkarte und einen ganzen Stapel von Bibliotheksausweisen. Darunter steckte eine Restaurantquittung, aber nicht aus Vaasa, sondern aus Uusikaarlepyy. Seltsam, Antti hatte nicht erwähnt, dass er dort gewesen war. Auf der Quittung standen das Datum des vergangenen Mittwochs und die Uhrzeit: 21.30. Antti hatte für eine Flasche Rotwein, zwei Pfeffersteaks und zweimal Kaffee mit Kognak bezahlt. Was ging da vor? Warum hatte er mir nichts von seinem Ausflug in eine Stadt erzählt, in der ich noch nie gewesen war? Ich spürte, wie mein Atem sich beschleunigte und mein Herz heftiger schlug. Was zum Teufel tat Antti?
    Ich nahm sein Handy, es war eingeschaltet. Aber selbst wenn er Virves Nummer gespeichert oder angerufen hatte – was bewies das schon? Es konnte sich natürlich um berufliche Gespräche handeln. Und die Kurzmitteilungen? Um Himmels willen, was tat ich da? Ich war im Begriff, das Telefongeheimnis zu verletzen. Ich fühlte mich wie eine komplette Idiotin und schmutzig obendrein. In meiner Verzweiflung ging ich unter die Dusche und schrubbte mich mit einer harten Bürste, bis die Haut brannte, aber das miefige Gefühl wollte nicht weichen, obwohl ich auch noch ein frisches Nachthemd anzog. Dann legte ich mich ins Bett, las und wartete auf Antti. Er kam zwanzig Minuten später, mit schneefeuchten Haaren, und erklärte, er werde am nächsten Morgen seine Mutter besuchen, denn eine so wichtige Angelegenheit könne er nicht am Telefon besprechen. Das sah ich ein.
    Ich hörte, dass auch Antti nicht einschlafen konnte. Wir lagen schlaflos nebeneinander und vermieden jede Berührung. Es war schlimmer als Alleinsein.

ELF
     
    Am Mittwoch stand ich wieder um sechs Uhr auf, um Zeit fürs Joggen zu haben. Die Sonne ging bereits auf, im schrägen Licht zeichneten sich die Bäume scharf vor dem rotgelb leuchtenden Horizont ab. Der Himmel darüber war atemberaubend blau. Über den Bäumen stand der Halbmond. Ich lief sechs Kilometer, winkte unterwegs anderen Joggern und ein paar Hundebesitzern zu. Es war windstill und kalt, die Abgase der Autos an den Ampeln hingen wie kleine Wolken in der Frostluft. Ein schöner Tag für eine Beerdigung.
    Als ich vom Laufen zurückkam, war ich nicht mehr so niedergeschlagen wie beim Aufstehen. Antti hatte bereits Kaffee gekocht, ich duschte und frühstückte dann ausgiebig. Antti wollte die Kinder zur Schule und zur Tagesstätte bringen und anschließend nach Vaasa fahren, nachdem er seine Mutter besucht hatte. Sie würde am Nachmittag zu uns kommen und sich um die Kinder kümmern.
    »Ich glaube, ich bleibe am Freitag zu Virves Party in Vaasa«, erklärte Antti. »Vielleicht ist es ganz gut, in Ruhe über alles nachzudenken.«
    »Weshalb ist es eigentlich so ein Problem, das Geld anzunehmen?«
    »Weil es nicht selbst verdient ist! Mit welchem Recht soll es mir besser gehen als anderen, nur weil mein Vater eine gut bezahlte Stelle hatte und aus einer reichen Familie stammte?«
    Natürlich verstand ich Anttis Logik. Er hatte immer ein schlechtes Gewissen gehabt, weil die Familie seines Vaters wohlhabend war. Aber er glaubte doch wohl nicht, dass ich gierig auf das Erbe wartete? Falls er das Geld annahm und eine Wohnung für uns kaufte, würden wir Gütertrennung vereinbaren. Das war die sauberste Lösung, sagte die Juristin in mir.
    »Du schaffst es doch mit den Kindern? Mutter hilft dir gern, sie genießt es ja direkt, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen, nachdem sie Vater nicht mehr betütern kann.«
    Ich wunderte mich über seinen bitteren Ton, und

Weitere Kostenlose Bücher