Wer sich nicht wehrt...
Wagen endlich angelassen hatte, hatte der unbekannte Mercedes längst einen solchen Vorsprung, daß eine Verfolgung aussichtslos war.
»Und die fünfhundert Mark?« brüllte Wulpert senior.
»Die sind futsch, Vater!«
»Die zahlt uns der Tenndorf zurück!«
»Warum sollte er? Er hat den Hund doch nicht weggelockt. Es war ein völlig fremder Mercedes.«
»Das war doch ein abgekartetes Spiel. Das sieht ja ein Blinder! Lauro, was hältst du davon?«
»Das war 'ne komplette Sauerei«, sagte Kabelmann vorsichtig.
»Jawohl, das war es! Du fährst morgen früh zu Tenndorf, Josef!«
»Kann ich ihm was beweisen, Vater? Natürlich wird der Hund nicht bei ihm sein.« Josef Wulpert ballte nun auch die Fäuste. »Die Fünfhundert müssen wir in vierzehn Tagen bei den Affen draufschlagen. Himmel, hat das Aas mich gebissen. Der hatte vielleicht Zähne …«
»Es braut sich was zusammen, Leute«, sagte der alte Wulpert dumpf. »Ich spüre das. Zuerst die überraschende, durch nichts begründete Kripo-Razzia. Dann dieser gemeine Hundetrick, und die Lieferung aus der Schweiz liegt am Baseler Zoll fest – überall Scheiße, wohin man faßt. Wie kommt plötzlich bei uns der Wurm rein?! Wo hast du dich dämlich benommen, Josef?!«
»Ich! Immer ich!«
»Eins ist doch klar: Du bist mit dem weißen VW aufgefallen! Wie kommt sonst die Kripo zu der Frage, ob wir einen weißen Kastenwagen haben?! Seitdem tritt man uns in den Hintern.«
»Gibt es Konkurrenten, die neidisch werden könnten?« fragte Kabelmann mit unschuldigem Gesicht.
»Nicht im Umkreis. Außerdem haben wir alle genug zu tun. Neid … nee, da wüßte ich nichts. Ob nun die ›Medicinal-Bedarf‹ ein paar Tiere mehr als wir verkaufen, das kratzt mich doch nicht. Und genauso wenig kratzt es die anderen, wenn wir mal mehr verkaufen. Wir haben alle triftige Gründe, uns gegenseitig nicht weh zu tun. Nee, von dieser Ecke ist alles still. Hier kann es sich nur um eigene Dusseligkeit handeln.«
An diesem Abend ging man wütend zu Bett. Aber Kabelmann saß noch lange wach in seiner Kammer hinter Halle II und fragte sich, woher die plötzlichen Schwierigkeiten kamen. Er nahm sich vor, darüber mit Steffen Holle zu sprechen, gleich morgen, wenn er nach Otternbruch zum Einkaufen fuhr. Es war dafür ein günstiger Tag: Josef Wulpert brachte eine Lieferung Katzen, Kaninchen und Ratten nach Braunschweig zu einem Forschungslabor, Willi Wulpert fuhr nach Hildesheim, wo sich ein neuer, zukünftiger Kunde gemeldet hatte, eine chemische Fabrik, die dringend und schnell Tiere brauchte. Ein Tag also, an dem Kabelmann für eine Stunde nach Otternbruch verschwinden konnte.
Und da nun erfuhr er von der geplanten Aktion gegen Wulpert. Auch seine Aufgaben erhielt er zugeteilt: Offenlassen des Tores zum Innenhof, Wegnahme der zwei Wachhunde und Warten an der offenen Hintertür seiner Kammer. Die nötige Ausrüstung brachte man mit: Stablampen, Halsbänder und Leinen, Werkzeuge. Bereitgestellt sein sollten auch die Kleinkäfige für Kaninchen und Katzen. Es mußte alles blitzschnell gehen, vor allem aber lautlos.
Und noch eins: Kabelmann mußte sich niederschlagen lassen, damit es nach einem echten Überfall aussah.
»Wann?« fragte Kabelmann am Telefon kurz.
»Du bekommst noch Nachricht.«
»Wie und durch wen?«
»Das müssen wir noch organisieren.« Steffen Holle hüstelte etwas. »Deine Fotos sind Klasse, Laurenz.«
Kabelmann hatte kurz die Stirn in Falten gezogen. »Hast du einen Husten, Steffen?« fragte er dann.
»Nur 'ne leichte Erkältung.«
»Erst ausheilen lassen, Steffen, und dann die Aktion!« sagte Kabelmann eindringlich. »Einmal husten … und alles kann vergebens sein! Komm bloß nicht an und bell hier rum! Wie du eben gesagt hast: Alles völlig lautlos! Der alte Wulpert ahnt etwas … also übereilt nichts! Ich möchte hinterher keinen arbeitslosen Staatsanwalt sehen … einen vorbestraften, arbeitslosen Staatsanwalt! Ich warte auf weitere Nachrichten. Ende.«
Jetzt ist es soweit, dachte er, als er wieder in seiner Kammer hinter Halle II am Tisch saß und seine frostdurchzogenen Glieder mit einem dampfenden Grog aufwärmte. Es wird wieder ein gewaltiges Aufsehen geben, Millionen Menschen werden uns Beifall klatschen, wir werden vielleicht hundert Tieren das Leben retten, und auch die anderen kommen dann in ein Tierheim.
Und dort? Und was folgt?
Alles wird bleiben, wie es war. Es wird keinen Wulpert mehr geben, aber hundert andere Firmen, die Versuchstiere
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