Wer sich nicht wehrt...
Schneeverwehungen, ein stahlblauer Himmel, aus dem der Frost herunterfiel, rundherum unter Schnee begrabenes Land. »Und Sie wollen hier bleiben?«
»Nein. Ich fahre näher an das Bauernhaus heran, auf Pfiffweite.« Lutz lächelte breit. »Ich habe alles bei mir. Benzinkanister, um den Motor laufen zu lassen und die Heizung auszunützen, eine Flasche Rum, dazu eine Zweiliterkanne mit Tee, zwei warme Wolldecken, einen Berg Wurstbrote, eine Schachtel Zigarillos. Mir läuft die Zeit nicht davon.«
»Dann viel Glück, Herr Lutz. Ich danke Ihnen nochmals, daß Sie uns Bravo zur Verfügung gestellt haben.«
»Auch wenn das Ergebnis mager war. Aber vielleicht sehe ich etwas, was Ihnen nützen kann. Oft haben Zufälle große Entdeckungen gebracht.«
»Heute abend hat er Bravo wieder«, sagte Tenndorf, als sie eine Weile gefahren waren.
»Aber wir haben Micky und Pumpi noch nicht wieder!« rief von hinten Mike. »Aber das schaffen wir doch auch noch, nicht wahr, Papi?«
Papi! Tenndorf zuckte bei dem Wort aus Mikes Mund zusammen und schielte zu Carola hin. Sie saß, weit zurückgelehnt, auf dem Beifahrersitz und lächelte still vor sich hin.
Laurenz Kabelmann hatte sich vorzüglich bei den Wulperts eingelebt. Es erwies sich, daß Lauro nicht nur intelligent und einsatzwillig war, zu allem bereit, vor keiner Dreckarbeit zurückschreckend, sondern er hatte sich sogar als dem Haus sehr verbunden gezeigt, nämlich, als zum zweitenmal der widerliche Fotoreporter Holger Fabricius im Wulperthof auftauchte und herumschnüffelte.
Bevor der alte Wulpert irgend etwas greifen konnte, um Fabricius vom Hof zu jagen, war Lauro schon zur Stelle und jagte den Reporter mit Fausthieben aus dem Hof auf die Straße und warf hinter ihm das große Tor zu. Daß dabei außerhalb des Innenhofes zwischen Kabelmann und Fabricius Filme ausgetauscht wurden – belichtete gegen neue Filme –, das konnte man vom Wohnhaus aus nicht sehen.
Als Lauro zurückkam, drückte der alte Wulpert ihn an seine Brust und nahm ihn damit sozusagen in die Familie auf. »So war's richtig, Lauro!« sagte er anerkennend. »Immer mit den Fäusten in die Fresse, wenn sie frech werden. Das verstehen sie! Der Bursche kommt so schnell nicht wieder. Donnerwetter, hast du einen Schlag!«
»Auf der Walze gelernt, Chef. Da muß man sich wehren können. Sind nicht alles Brüder, die da herumziehen.«
»Und trotzdem willste im Frühjahr wieder raus?«
»Ja.«
»Bei uns kannste bleiben, hier kannste alt werden, Lauro. Überleg dir das. So was wie dich brauchen wir hier. Du bekommst auch die Stunde zwei Mark mehr. Steuerfrei. Ist das 'n Angebot?«
»Ich war noch nicht in Marokko – da will ich im Sommer hin.«
»Scheiß auf Marokko! Da ist es heiß, da stinkt alles, und die Weiber sind im Bett auch nicht anders als hier. Und nur Hammel und Reis fressen? Keinen Schnaps?! Du bist ja bekloppt, daß du nicht bei uns bleibst. Hier hättest du dein geordnetes Leben, Geld genug, gutes Essen, und in Hannover gibt's hervorragende Puffs. Überleg dir's wirklich, Lauro!«
Laurenz Kabelmann versprach, sich das alles genau durch den Kopf gehen zu lassen.
Seitdem er sein Päckchen bei der Posthalterin Erna Sudereich abgeholt hatte, postlagernd, Kennwort ›Valencia‹, war er im Besitz einer Minoxkamera, mit der er die Zustände in den Hallen und Ställen heimlich fotografierte. Da er das unbedingte Vertrauen der Wulperts gewonnen hatte, gab es nichts mehr, was er nicht sehen durfte. Ungehindert konnte er all das Schreckliche im Bild festhalten, unglaubliche Dinge wie die ›Glocke‹ und andere Wulpert-Einrichtungen, die niemand für möglich gehalten hätte.
Mit Erna Sudereich, der Posthalterin, hatte er übrigens noch ein spezielles Erlebnis. Er mußte auf sie mit der Erzählung von seiner heimlichen Liebschaft einen ungeheuren Eindruck gemacht haben; für Erna kam er aus einer Welt, von der sie, die ewige Jungfrau, immer heimlich mit roten Backen träumte: der Welt des Lasters, der hemmungslosen Leidenschaft. Heimlich las Erna auch Pornos, die sie in Hannover in einem Kiosk am Bahnhof kaufte und dann später in ihrem Kachelofen verbrannte. Da gab es Bilder, bei deren Anblick es in ihr zu zucken begann, und ein paarmal verlor sie fast die Besinnung, als sie sich vorstellte, daß man das alles auch mit ihr anstellen könnte.
Und nun war ein Mann ins Dorf gekommen, der zu alledem fähig war! Ein Sittenstrolch! Welch ein wüster Kerl!
Erna Sudereich hatte in den folgenden Nächten
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