Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
Vom Netzwerk:
Karl-Heinz den Smoking losließ, musste Franco das Kleidungsstück mit beiden Händen greifen. Trotzdem glitt ihm der Smoking durch die Finger.
    So stand er da: mit leeren Händen und einem steifen Schwanz.
    Und nach wenigen Sekunden trippelte er hastig, noch immer mit gesenktem Kopf und Jeans, die ihm um die Fußgelenke hingen, auf den dünnen Vorhang zu und verschwand dahinter – nur noch Silhouette.
    Nach einem Augenblick der Stille begann Karl-Heinz zu klatschen. Und Tina klatschte ebenfalls. Doch brach sie gleich darauf den Beifall ab.
    Und während Karl-Heinz sogar pfiff, fingerte sie nervös nach Zigaretten. Fuhr hastig in ihr Jäckchen und zog das kurze Cocktailkleid, so weit es ging, über die nackten Schenkel.
    Dann hielt sie Karl-Heinz’ Hände fest und lief mit einem alten Bademantel zum Vorhang, hinter dem Franco noch immer auf dem Sofa lag ohne sich zu bewegen.
    Doch erst als Karl-Heinz aufhörte zu pfeifen und zu johlen, konnte ich hören, dass Franco, obwohl er es zu unterdrücken suchte, trocken in die Kissen schluchzte. Tina breitete den Mantel über ihn und setzte sich zu ihm auf die Couch.
    Und während Franco liegen blieb, als wolle er dort immer liegen bleiben, öffnete Eberhard die Tür und trat – er überraschte mich – hinaus in den nächtlichen Garten. Ich zuckte, obwohl er mich schon längst gesehen hatte, zurück. Und weil ich so ertappt aussah, musste er lächeln, deutete rasch über seine Schulter und schüttelte den Kopf.
    Ich nickte.
    In der Laube wurde ein Flaschenbier geöffnet. Tina zog ihre Lippen nach und schaute in den Spiegel, während sie Franco streichelte und er – kein Wort und keine Regung – auf seinem Kissen lag.

17
    Wahrscheinlich gab die Szene in der Laube den Ausschlag für meinen Entschluss, Ayfer in ihrem Obstgeschäft noch einmal zu besuchen. Ich wusste, dass sie nachmittags dort helfen würde beim Verkauf, und dieses Wissen ließ mich ruhig werden.
    Die Vorstellung, an Francos Stelle nackt vor den andern stehen zu müssen, und Karl-Heinz haut sich laut lachend auf die Schenkel, war für mich wie ein Albtraum, aus dem man nicht entkommt. Und auch das Bild von Franco, wie er schließlich schluchzend dagelegen hatte, war furchtbar: das grausam rhythmische Lachen und die Behauptung, alles sei doch nur ein Spiel. Ich wollte nichts mehr von Karl-Heinz und seinen Scherzen wissen.
    Am Abend vorher war ich langsam und ohne dass mich Eberhard zurückgehalten hatte, nach Hause gegangen. Erst am Kanal entlang, dann durch das stille Kastenviertel.
    Ich hoffte, als ich an den Häusern vorbeischlich, die mir viel ruhiger vorkamen als sonst, ich würde meine Eltern vielleicht zu Hause antreffen – obwohl ich ahnte, dass sie bei andern Leuten Cocktails tranken. Mir fiel auch ein, dass Mittwoch war. Und irgendwas mit Cocktails, an denen man nur nippen durfte, war Mittwochabends immer.
    Ich traf nur meinen Bruder.
    Mein Bruder war erst achteinhalb, aber er wollte jeden Abend wissen, wo ich gewesen war. Und ob ich nicht »actionmäßig« – so redete er dauernd – irgendwas erlebt hätte da draußen.
    Er sah mich dabei an, als ob ich Batman wär oder Dick Tracy. Er sprang in seinem Schlafanzug mit den Donald-Duck-Köpfen vor mir durch die helle Diele und tat, als ob jemand auf ihn schösse.
    »Flaschendrehen«, murmelte ich.
    Und weil mich mein kleiner Bruder mit weit aufgesperrten Augen, aber ohne zu verstehen, anstarrte, grunzte ich: »Geh mit deinem Gameboy spielen. Oder guck von mir aus fern.« Denn große Brüder dürfen, weil sie älter sind, machen, was sie wollen.
    Sein Mund schnappte zweimal nach Luft. Und ich sagte noch: »Gürkchen!« Denn ich wusste, dass er dann einschnappte und sich nicht mehr bei mir blicken ließ.
    Es funktionierte. Er verschwand beleidigt. Ich hatte meine Ruhe und legte mich aufs Bett. Angelte meine Kopfhörer, fand rasch die richtige Musik – Wind of change von den Scorpions – und grub mich in mein Federbett und in die weichen Kissen.
    Als ich das Obstgeschäft betrat, wurde es gerade unruhig, weil Ayfers Bruder einer Kundin, ohne dass die es merkte, den Plastikbeutel mit Gemüse in den Kinderwagenkorb unter ihrem Kind gelegt hatte. Er hatte ihr noch ein paar Tomaten dazugepackt und etwas Paprika. Doch weil die Frau, die gerade zahlte, meinte, man habe ihr den Beutel, den sie nicht sah, gestohlen, fing sie zu zetern an. Sie keifte, dass man ihr das Geld zurückzugeben hätte. Sie sah sich um, als nichts geschah. Man konnte in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher