Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
Vom Netzwerk:
Demütigung, die Viktor seinem Bruder gestern zugefügt hatte. Es war so ähnlich wie der Stolz, in dem sich Eberhard gekränkt sah, wenn ein Lehrer seine Antwort nicht für richtig hielt.
    Schlagartig stand der kurze Augenblick wieder vor mir, als er mich vor der Gartenlaube überrascht hatte beim Spannen und als er mir zugenickt und gelächelt hatte. Aber das war lange her. Galt nicht mehr, und deshalb lief ich wie ein Spielzeugroboter auf die Brüder zu.
    Ich hörte zwar noch, dass der Hund vor mir erwartungsvoll knurrte. Doch half mir das nichts. Denn ich musste, einmal in Bewegung, einfach weiterlaufen.
    Franco brüllte: »Bleib doch stehen!« Karl-Heinz sagte: »Lass ihn doch.« Eberhard riss noch am Halsband. Doch der Hund, ein weißer Pittbull, der genauso aussah wie ein Schwein, machte einen Satz nach vorn.
    Eberhard geriet kurz aus dem Gleichgewicht, stolperte und hielt nur noch das Halsband mit der Leine in den Händen.
    Aber ehe sich der Kampfhund in meiner Hose – in Wade, Fuß, Hand oder Oberschenkel – verbeißen konnte, trat ihm Sürel, ein Vorteil von Karate, von unten in den Bauch.
    Und weil sich Sürel wie die Brüder Stiefel mit Stahlkappen besorgt hatte, jaulte der Hund und flog, getragen von der Wucht des Tritts, ins trübe Teichwasser und ging dort unter wie ein Stein.
    Wir standen alle schweigend und ziemlich verblüfft am Ufer, betrachteten die Blasen, die zur Oberfläche stiegen. Erst nach einer Minute tauchte der Pittbull wieder auf.
    Doch ehe er ans Ufer kriechen konnte und sich mit eingezogenem Stummelschwanz im trockenen Schilf versteckte, als sei er dort in Sicherheit vor Sürels Springerstiefeln, brüllte Karl-Heinz. Ein Laut wie aus dem Dschungel. Er wollte sich auf Sürel stürzen, während ich wieder wie eine Puppe, die man zu heftig aufgezogen hatte, den Weg entlanglief Richtung Schule, so lange, bis mir Franco einen Stoß gab.
    Ich kippte langsam auf den Kiesweg, schlug mir die Knie auf und war dennoch froh.
    Karl-Heinz sprang vor. Sürel wich aus. Der Pittbull jaulte. Karl-Heinz geriet durch seinen Schwung an Viktor, der ihn erschrocken ansah und ungelenk schubste.
    Eberhard, der nach wie vor den Ententeich betrachtet hatte, wandte sich wie ein Schlafwandler vom Ufer ab und musterte Ayfer, die ihr Messer vor ihm aufspringen ließ.
    Karl-Heinz war durch Viktors Schubs gegen einen Stamm getaumelt, stieß sich von der Borke ab, lächelte und schlug dann Viktor ins Gesicht.
    Eberhard wischte das Messer, mit dem Ayfer vor ihm durch die Luft gefuchtelt hatte – ein schneller Schlag – beiseite, hob sie hoch und wollte sie ins trübe Wasser werfen, dorthin, wo die Blasen aufgestiegen waren.
    Aber während Sürel Franco mehrfach in den Magen boxte, gelang es ihr, sich noch mal loszureißen. Ich erhob mich und der Hund jammerte noch immer.
    Als Franco trotz der Schläge, vielleicht weil die Turmuhr acht schlug, plötzlich Richtung Schule rannte, zog Viktor, dessen Narbe durch Karl-Heinz’ Faustschlag aufgeplatzt war, eine unscheinbare Dose, ähnlich einer Farbsprühdose, aus der Jackentasche.
    Er fuhr sich mit den Fingern vorsichtig durchs Gesicht, als könne er nicht glauben, was mit ihm geschehen war, sagte dann hilflos: »Das hast du davon!«, und drückte auf die Düse.
    Karl-Heinz lief, weil er erneut nach Viktor schlagen wollte, ins Tränengas, schrie auf, brach zusammen, hielt sich die Hände vors Gesicht und wälzte sich am Boden. Viktor murmelte: »Das ist CS -Gas…, wirkt sehr schnell.« Eberhard sah seinen Bruder, ließ von Ayfer ab und ging auf Viktor, der versonnen schaute, zu.
    Ich sagte: »Nein!« Der weiße Pittbull lief hinter Franco her zur Schule. Er hinkte.
    Ich rief noch mal: »Lasst uns in Ruhe!« Das Gas roch fast wie frischer Knoblauch. An einem Kirchturm schlugen Glocken. Viktor betrachtete die Dose, als wäre sie ein großes Wunder. Ayfer rappelte sich auf.
    Und während ich es wieder schaffte, auf Eberhard, der Viktor schon beinahe erreicht hatte, langsam, aber stetig zuzugehen, nahm Sürel Anlauf und sprang ab.
    Er trat zu, traf Eberhard an der Schulter und stieß ihn so heftig Richtung Ententeich, dass Eberhard die Böschung hinabtaumelte, umkippte und im flachen Wasser verwundert sitzen blieb. Als glaubte er noch immer an einen bösen Traum, der bald vorbeiginge, als müsste er nur seine Augen öffnen.

23
    Wir waren bis zur Schule gerannt. Der Hund saß vor der Eingangstür und gab uns, als wir ankamen, mit Demutsblick die Treppenstufen frei.
    Im

Weitere Kostenlose Bücher