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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Angstdetektor sagt, Sie haben die größte Furcht nicht vor Schmerzen, sondern vor einer bleibenden Teilidiotie. Auch Ihr Mitleid mit kleinen blonden Mädchen ist bemerkenswert. Wollen wir anfangen, oder brauchen Sie noch eine Bedenkzeit?«
    »Wozu?« erwiderte Timothy kraftlos. »Ich bin längst überzeugt. Ich weiß nur nicht, was ich gestehen soll. Mein Leben ist wie ein offenes –«
    »Wollten Sie Buch sagen? Gut, fangen wir mit den Büchern an. Welche besitzen Sie?
    »Ja, ich habe Bücher. Zweiundachtzig. Aber es sind nur Kochbücher.«
    »Wirklich? Keine Romane, Lexika, Fachbücher, Landkarten oder sonstige verbotene Drucksachen?«
    »Bestimmt nicht.«
    »Ich merke, Sie brauchen doch eine Bedenkzeit. Sie dürfen aufstehen.«
    An Devlins Stelle erschien eine wandgroße Uhr, dann auch an den anderen Wänden. Jedesmal, wenn der Sekundenzeiger vorrückte, hallte es wie ein Schuß durch die Kammer. Timothy biß sich in die Unterlippe, bis der Schmerz ihn das Ticken vergessen ließ. Dann begann er fieberhaft zu überlegen. Wenn Devlin ihm zehn Minuten Zeit gab, hatte er eine Chance, vielleicht nicht zu überleben, aber zu schweigen. Zum Glück hatten sie die Eckzähne nicht untersucht, als sie ihm die Zahnprothese aus dem Mund genommen hatten, aber wie sollten sie auch auf die Idee kommen, daß jemand heutzutage noch Stiftzähne trug?
    Wie lang mochte die Bedenkzeit sein? Obwohl er nun schon seit Jahren trainierte und jede Möglichkeit genutzt hatte, in die Vainity zu gehen, brauchte er immer noch zehn Minuten für die paraautistische 10 Blockade, und er hatte nur eine einzige Chance.
    Er ließ sich vom Stuhl gleiten und krümmte sich auf dem Boden zusammen, als habe er Magenschmerzen. Nichts geschah. Er vergrub den Kopf in den Armen, zog die Kuppe des rechten oberen Eckzahns ab, löste mit der Zunge die klebrige Masse vom Stift, schob die Kuppe wieder auf den Zahn, zählte in Gedanken bis zwanzig und begann dann die Stichwortliste herunterzuspulen. Voller Erleichterung spürte er, wie der Druck sich über den Schädel spannte und wieder löste. Er hatte es geschafft! In wenigen Sekunden würden die gefährlichsten Regionen seines Gedächtnisses blockiert sein. Er legte die Finger an den Puls und zählte mit. Fünfundsechzig. Er lächelte.
    »Setzen Sie sich!« Devlin war wieder da.
    »Was ist nun mit den Büchern?«
    »Ich besitze wirklich nur Kochbücher, Mister Devlin.«
    »Ich könnte jetzt ein paar Leute ins ’Nebraska‹ schicken, und ich wette, Sie wären in wenigen Minuten überführt.«
    »Bitte, tun Sie das.«
    »Wir werden uns Ihre Wohnung sehr genau ansehen, doch erst, wenn Sie bereit sind, uns alles selbst zu zeigen. Und wehe Ihnen, wir finden dann etwas, was Sie nicht gebeichtet haben. Aber sprechen wir jetzt über etwas anderes. Was fällt Ihnen zu dem Wort Bruder ein?«
    »Ich habe keine Geschwister, das sollten Sie wissen.«
    »Bruder«, wiederholte Devlin mit Nachdruck.
    Timothy strengte sich tatsächlich an, doch ihm fiel nichts ein.
    »Wollen Sie behaupten, Sie hätten noch nie etwas von den Brüdern gehört?« fragte Devlin erstaunt.
    Timothy zuckte mit den Schultern.
    »Stellen Sie den Stuhl ’raus! Schneller! Dalli, dalli! Wir können auch anders, mein Lieber.«
    Timothy schleppte den Stuhl in die Kammer. Als die Wand sich schloß und er sich umdrehte, stand er im Nichts. Er empfand nicht einmal Dunkelheit. Jetzt verlor er auch das Druckgefühl in den Füßen. Er ließ sich fallen, aber er spürte keinen Aufprall. Er wollte sich in die Haut kneifen, aber er spürte nichts, nicht einmal, ob er die Finger bewegt hatte. Er schrie, aber er hörte nichts. Er hatte das Gefühl aufzuquellen, dann wurde die Luft dünner, er mußte immer schneller atmen, die Angst packte ihn wieder, schnürte ihm die Kehle zusammen, dann hörte er ein Bummern, das immer lauter und schneller wurde; als er begriff, daß es sein Herz war, zuckten Blitze, gleißende Helligkeit stach in sein Gehirn, obwohl er die Lider zusammenpreßte, eine Sirene heulte auf, immer höher, verschwand im Ultraschall, ließ sein Gehirn flackern, gleichzeitig wurde sein Körper von tonnenschweren Lasten zusammengepreßt. Dann hörte er sich schreien – und wie er schrie –, sah in den spiegelnden Wänden sein verzerrtes, unmenschlich entstelltes Gesicht, sah, wie er sich in Krämpfen wand, Fieberschauer rannen durch die Adern, wollten ihn verbrennen, gleich darauf fror er. Urplötzlich setzte wieder die Stille ein. Die Zelle verwandelte

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