Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
Vom Netzwerk:
Bissen hinunter. Ein Zwieback und etwas Tee waren das einzige, was sein Magen vertrug.
    Er rief die Hauszentrale an und ließ sich alle Ärzte nennen, die im »Nebraska« wohnten. Schon der siebente reagierte, als Timothy sagte, er sei gerade beim Puzzlen und hätte plötzlich Magenbeschwerden bekommen. Der Arzt versprach, noch am Nachmittag vorbeizusehen.
    Timothy legte sich ins Bett, auch um den beiden nicht beim Essen zuschauen zu müssen. Ab und zu sahen sie nach ihm, aber Timothy winkte nur, es sei alles in Ordnung. Er schlief ein, Smiley weckte ihn, um sich zu verabschieden. Er hatte eine mächtige Fahne.
    »Mach’s gut, altes Haus«, lallte er. »Ich komm’ ein andermal wieder, und dann saufen wir einen, ja?«
    Puissant schien Smiley nicht nur hinauszulassen, sondern auch noch an den Lift zu bringen. Als er zurückkehrte, setzte er sich zu Timothy ans Bett.
    »Ganz gut, daß ich da bin, was? Sie scheinen Hilfe gebrauchen zu können. Am liebsten bliebe ich ganz. Es gefällt mir bei Ihnen.«
    »Und Henry Six? Ich kann mir seinen Zorn noch weniger leisten als Ihr Gehalt.«
    »Geld habe ich genug, aber Sie haben recht, Tiny, Henry Six würde uns das Leben zur Hölle machen. Ich muß wohl zurück in meinen goldenen Käfig.«
    »Das ist der Fluch der Genialität in unserem gelobten Land«, sagte Timothy. »Man verliert sofort die Freiheit. Sie sollten wenigstens Ihr Können vergesellschaften.«
    Puissant sah ihn verständnislos an.
    »Sie sollten Ihre Rezepte allgemein zugänglich machen. Es ist doch eine Schande, daß eine solche Kunst nur einer Handvoll Menschen zugute kommt.«
    »Das darf ich leider nicht. Ich habe mich mit Haut und Haaren verkauft. Mein Wissen wird mit mir ins Grab wandern, so lautet der Kontrakt, und ich habe keine Lust, mir auf meine alten Tage noch Ärger zu machen. In diesem Punkt ist Henry Six unerbittlich. Außerdem, wer könnte schon Gebrauch davon machen?«
    »Ich glaube, Sie unterschätzen, wie viele Gourmets es gibt, und Sie sehen die Zukunft zu pessimistisch. Eines Tages werden die Menschen sich gegen den Automatenfraß auflehnen und wieder selbst zu kochen beginnen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Diktieren Sie meinem Napoleon ein Kochbuch. ’Die Hohe Schule der Gaumenfreuden. Von Maître Jacques Puissant.‹ Nun – wie gefällt Ihnen das?«
    »Klingt gut«, gestand Puissant und strich sich über den Schnurrbart.
    »Ich verspreche Ihnen, daß ich es erst nach Ihrem Tode veröffentliche. Es wird Sie unsterblich machen.«
    »Und hätte noch einen zweiten Vorzug.« Puissant grinste unverhohlen. »Es würde Henry Six zur Weißglut bringen. Okay, Tiny, ich mach’s. Hauptsache, Ihr Napoleon wird damit fertig.«
    »Ich helfe Ihnen beiden. Aber wenn er so klug war, Sie hier einzusperren –«
    Timothy richtete sich auf und schaltete Napoleon ein.
    »Wie bist du eigentlich auf diese blendende Idee gekommen, Mister Puissant hereinzulassen?«
    »Das ist einfach zu erklären, Sir. Als er vor der Tür stand, überprüfte ich meinen Speicher. Ich fand zwar keinen diesbezüglichen Auftrag, wohl aber Ihre Anweisung, Sie sofort zurückzurufen, sobald Mister Puissant sich meldete. Ich setzte das Signal ab, empfing aber nicht die vereinbarte Bestätigung über den Peilsender. Ich stand also vor einem Dilemma. Da Mister Puissant der einzige war, dessentwegen ich Sie benachrichtigen sollte, schloß ich, daß er von äußerster Wichtigkeit für Sie sein mußte. Ließ ich ihn gehen, handelte ich also gegen Ihre Interessen. Andererseits verstieß ich auch gegen Ihre Interessen, wenn ich jemand ohne Auftrag in die Wohnung ließ. Ich entschied, daß die erste Zuwiderhandlung mit einer Wahrscheinlichkeit von sechzig zu vierzig die geringfügigere sei. Ich hoffe, daß Sie meine Zwangssituation anerkennen und mein Vorgehen als eine immerhin logische Variante im Nachhinein akzeptieren.«
    »Ich akzeptiere«, sagte Timothy. »Mehr noch, ich spreche dir ein zweites Lob aus.«
    »Danke, Sir«, antwortete Napoleon. »Sie sind heute außerordentlich freundlich zu mir. Darf ich mir deshalb eine Bitte gestatten?«
    »Du darfst.«
    »Schalten Sie den Snarr nicht wieder ab.«

Die Drossel
    1.
    Die Botin von OLD NEPTUN’S TREASURY kam eine halbe Stunde später als sonst. Timothy wartete schon ungeduldig. Er fühlte sich frisch und munter wie früher. Die eiserne Disziplin, mit der er das Rehabilitationstraining durchgehalten hatte, begann sich auszuzahlen; heute morgen hatte er zum erstenmal wieder Lust auf Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher