Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Wanne, legte sich ins Bett, ließ sich in willkürlicher Reihenfolge Gemälde vorführen, drückte blind die Tastatur des Musikspeichers und hörte nacheinander Fugen von Bach und banale Schlager, ließ die unterschiedlichsten Streifen über den Videoschirm laufen, darunter einen Gleitflug über den Ozean, Scooterrennen durch den Grand Cañon, Drachensteigen über der Wüste und das Puppenspiel von Don Quichote – nichts wollte helfen.
Schließlich ging er in die Küche und begutachtete seine Vorräte. Er beschloß, einen schwedischen Hefekranz zu backen.
Timothy schluckte zwei Lilaperlen, um für eine Stunde ganz abzuschalten. Dann war er nur noch damit beschäftigt, Butter zu Sahne zu rühren, Hefe in Milch einzuweichen, Teig zu kneten; er wartete geduldig, daß der in eine Serviette gewickelte Teigklumpen sich vom Grund des Eimers mit kaltem Wasser lösen und aufsteigen sollte, knetete dann Zucker unter, rollte den Teig aus, streute Mandeln, Rosinen und Sukkade darauf und formte eine lange Teigrolle. Wenn jemand Timothy beobachtet hätte, er wäre nie auf die Idee gekommen, daß der sich mit einem der schwierigsten Fälle seiner Praxis herumschlug. Während Timothy den Zuckerguß vorbereitete, stellte sich die Erinnerung ein. Nicht aber die Lösung.
Timothy fluchte lauthals auf die verdammte Sauferei und auf Smiley, der nie genug bekommen konnte – mitten in einem hundsgemeinen arabischen Fluch verstummte er, rannte zum Communicator und ließ sich mit Smiley Hepburn verbinden.
»Du mußt dich erinnern«, überfiel er ihn. »Du hast gestern eine Brandrede gehalten, wie wenig du die Welt noch verstehst. Wiederhole bitte alles, was dir einfällt. Jedes Wort!« Timothy lauschte mit geschlossenen Augen. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Danke, das war’s!«
Bevor Smiley noch etwas sagen konnte, hatte Timothy schon die Verbindung unterbrochen und rannte ins Mausoleum. Im Vorbeihuschen streichelte er Napoleon und rief ihm zu: »Und du bist doch der Größte!«
Er setzte sich vor das Handwaschbecken, schraubte den Wasserhahn ab, zog eine dünne Glasfaserlitze aus dem Rohr, klappte das Ende auseinander, holte zwei Kapseln aus dem Hahn und stöpselte sie auf die beiden Litzenenden, steckte die eine Kapsel ins Ohr, die andere in den Mundwinkel. Dann drehte er an einer Schraube der Warmwasserleitung und setzte so den Schwingquarz in Betrieb. Er mußte fünf lange Minuten warten, bis sich der Große Bruder meldete. Die Stimme klang blechern, kaum menschlich.
»Du mußt mir wieder mal helfen«, sagte Timothy. »Ich suche einen Betrieb oder ein Institut mit direktem Zugang zum Wasser. »Das ist Geheimhaltungsstufe zwei«, erwiderte der Große Bruder. »Darüber verfügt nur der Regierungscomputer.«
»Brauchte ich sonst deine Hilfe? Morgen nacht wird irgendwo in Chicago eine große Schweinerei inszeniert. Frag mich nicht, was; ich weiß es selbst noch nicht.«
»Wenn es schiefgeht, fliegen wir beide auf.«
»Was soll schiefgehen! Verlaß dich auf mich. Niemand wird erfahren, daß du den Regierungscomputer anzapfen kannst. Bitte !«
»Nun gut, ich versuch’s. Aber vor morgen früh wird es nichts.«
»Okay. Morgen früh reicht. Ich fühle mich ohnehin nicht stark genug, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen.«
»Bist du krank?« erkundigte sich der Große Bruder besorgt. »Nur verkatert.«
»Du sollst doch nicht soviel trinken, Tiny.«
»Hast ja recht. Aber ab und zu muß ich mich mal besaufen, sonst werde ich verrückt an dieser schönen Welt.«
7.
»Müssen wir wirklich in das Mausoleum?« stöhnte Paddington. »Ich hasse schalltote Räume.«
Timothy schob ihn durch die Tür. »Jetzt auch noch?« Er zeigte zu dem Tisch, auf dem eine Flasche Moselwein und venezianische Gläser standen. »Ich denke, Sie wollen die Lösung unseres Falles erfahren? Es gibt da ein paar Dinge, die niemand wissen darf. Es ist schon leichtsinnig, daß ich es Ihnen erzähle. Ich verlasse mich darauf, daß Sie schweigen.«
»Natürlich. Aber wenn es Sie in Schwierigkeiten bringt –«
»Wissen Sie, Edward, es wird mir guttun, darüber zu sprechen. Und mit wem, wenn nicht mit Ihnen? Mein Herz ist schon so voll, daß ich dauernd Angst haben muß, daß mir mal der Mund übergeht, wie das Sprichwort sagt.«
Timothy öffnete die Flasche und goß ein. Paddington kostete bedächtig. Ein Strahlen zog über sein Gesicht.
»Etwas spukte in meinem Kopf herum«, erklärte Timothy. »Schließlich fiel es mir wieder ein. Beim
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