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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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weil es erst Mittag war; er fühlte sich hundemüde, aber seine Gedanken gaben keine Ruhe.
    Er überlegte nicht, wie er Baxter auf die Spur kommen könnte. Ihn zu finden war das eine, aber was dann? Ihn ausliefern? Mußte nicht die ganze Welt erfahren, was in Fort Baxter und wer weiß wo sonst noch überall ausgebrütet wurde? Aber wie?
    Viel einfacher war es, nichts zu tun, Geschäftigkeit vorzutäuschen und sich aus allem herauszuhalten. Dank würde er ohnehin nicht ernten, im Gegenteil. Wenn er Baxter fand, ihm gar begegnete, wurde er zum Mitwisser eines gefährlichen Staatsgeheimnisses, ein Todeskandidat. Aber war er das nicht jetzt schon? Und konnte er wirklich so tun, als wisse er von nichts?
    Timothy fluchte lauthals, daß er sich jemals so weit mit der Bachstelze eingelassen hatte, daß die ihm Vertrauen schenken konnte, wenn auch aus durchsichtig egoistischen Motiven. Und daß er solch ein Idiot sei, sich den Luxus eines Gewissens zu leisten.
    Ja, einfach die Hände in den Schoß legen und abwarten. Irgendwann würde irgendwer Baxter aufgabeln, und wenn er Glück hatte, würde die Bachstelze niemandem verraten, wieviel Timothy von ihr erfahren hatte, und man würde ihn in Ruhe lassen. Warum mußte sie mit diesem Fall zu ihm kommen!
    Wer war hier eigentlich wirklich der Klient, die Vereinigten Staaten von Amerika oder die Bachstelze? Oder die weißbekittelten Verbrecher von Fort Baxter? Nicht vielmehr der arme Samuel Baxter oder die Weltöffentlichkeit? Und er selbst! Diesmal ging es auch um seinen Kopf.
    Er grübelte lange, irgendwann schlief er endlich ein. Als er wach wurde, schaltete er Baxters Porträt ins Mausoleum und schloß sich ein. Er wanderte unruhig auf und ab und blieb immer wieder vor dem Gesicht stehen, sah es lange an, sprach zu ihm.
    »O Samuel!« sagte er. »Wer soll dir helfen? Und wie? Weißt du überhaupt, in was du mich gestürzt hast? Warum bist du verschwunden? Hast du dir in deinem superschlauen Köpfchen wenigstens was dabei gedacht? Bist du ausgerissen? Warum? O Samuel, am liebsten würde ich mich für ein paar Tage verkriechen. Kann denn niemand mich armen, kleinen Mann in Ruhe lassen? Müßt ihr mir immer alles aufhalsen? Was soll ich tun? Soll ich gar hoffen, du wärest schon tot? Oder ein anderer entdeckte dich und befreite meine schmalen Schultern so von der Last der Verantwortung?
    Ich kann doch nicht so tun, als interessiere mich dein Schicksal nicht, als sei es mir gleichgültig, ob du wieder als Versuchskaninchen nach Fort Baxter gebracht wirst, als sei es mir egal, ob die Welt von dir und deinen noch ärmeren Geschwistern erfährt.
    Ich muß dich finden. Ich und kein anderer. Damit du nicht wieder im Dunkeln verschwindest, sondern Zeugnis wider deine Erzeuger ablegst! Aber wie? Wie! Nicht einmal mit meinen Freunden kann ich mich beraten.
    O Samuel, was weißt du von dieser Welt. Du kennst sicher nicht einmal das erste Gebot des Überlebens: Gib niemandem ohne zwingenden Grund eine gefährliche Information; lerne schweigen, ohne zu ersticken!
    Entschuldige, Samuel, vierarmiger Bruder, daß ich dich so angeschrien habe. Es mußte sein. Ich würde platzen, könnte ich nicht ab und zu meine Not hinausschreien.«
    Timothy setzte sich und hörte ab, was er gerade von sich gegeben hatte, grinste verlegen, löschte den Kristall, löste ihn in Säure auf und spülte die Lösung durch den Abfluß. Dann holte er sich von Napoleon die Notfrequenz des Großen Bruders und setzte eine mehrfach verschlüsselte Botschaft ab: fünf Zahlengruppen, die wiederum für andere Zahlen standen, Kennziffern des Katalogs der Chicagoer Tiergärten: Aal – Regenwurm – Bernhardiner – Lachtaube – Maulwurf.
    Timothy schmunzelte. Es bereitete ihm immer wieder Vergnügen, daß dieser Code im Grunde so einfach war, daß die Geheimdienste, falls sie ihn je entziffern würden, sich vor Wut in den Hintern beißen müßten. Weil er so einfach war. Die Nachricht hieß: Absolutes Schweigen. – Sitze an der Angel, bin verpflichtet. – Prüfe, ob ich bespitzelt werde. – Bereite Boten vor. – Bereite Untertauchen eines Menschen vor.
    Danach fuhr Timothy in die »Stardust«-Bar.
    »Sie waren lange nicht hier, Mister Tiny«, sagte der Barkeeper respektvoll. »Arbeiten Sie wieder an einem Fall?«
    »Ja«, bestätigte Timothy, »und diesmal im Regierungsauftrag.«
    Er sagte es so laut, daß mindestens zwei der herumsitzenden Spitzel es hören mußten, vom Barkeeper gar nicht zu reden. Dann versank Timothy

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