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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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ich!«
    »Mir egal«, brummte Joe. »Es wird nach so vielen Leuten gefahndet. Ob Baxter oder ein anderer, eines Tages landen sie alle bei mir im Archiv. Als zerschossene oder zerstückelte oder gehenkte und geachtteilte Leiche. Das heißt, wenn sie es wert waren, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu beanspruchen.«
    Kurz nach acht kam Deborrah Johnson. Sie ließ sich nicht anmelden, sie klingelte gleich an der Wohnungstür. Timothy versteckte schnell die Meßtischblätter. Sie wollte nicht einmal eintreten.
    »Keine Zeit, Tiny. Ich wollte Ihnen nur etwas bringen.«
    Sie winkte, und drei bewaffnete Polizisten führten einen Mann herbei.
    »Das ist alles, was ich auftreiben konnte«, sagte die Bachstelze. »Dieser Mann steht Ihnen genau eine Stunde zur Verfügung.«
    Bevor Timothy sich von seinem Staunen erholt hatte, war sie schon wieder verschwunden. Die Polizisten postierten sich vor Timothys Appartement. Der Sergeant blickte stur auf die Tür, die beiden anderen sicherten nach den Seiten. Timothy zog den Mann in die Wohnung; er war etwa sechzig, mittelgroß, hatte eine Kolbennase, wäßrige Augen und sehr lange Ohrläppchen. Er trug einen Yllicord-Anzug, der an Ellenbogen und Knien abgewetzt war. In den breiten, rissigen Händen drehte er eine Schirmmütze.
    Besonders intelligent sieht er ja nicht gerade aus, dachte Timothy. Er hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Timothy Truckle.«
    »Pat –« Der andere brach mitten im Wort ab und grinste verlegen.
    »Darf ich Ihnen ja gar nicht sagen.« Er sprach stockend und mit dem Akzent der Upperslums.
    »Macht nichts«, sagte Timothy. »Was kann ich Ihnen anbieten? Kaffee, Tee, Schnaps, Bier, Meskalino –«
    »Tee«, sagte der andere, »ich trink immer Tee.«
    »Welche Sorte? Ich kann Ihnen echten russischen oder chinesischen Tee anbieten.«
    Der andere blickte verständnislos. »Na, Tee!«
    Timothy dirigierte ihn in den Tagesraum, forderte ihn auf, sich irgendwo hinzusetzen, eilte in die Küche und brühte einen starken, schwarzen grusinischen Tee. Als er mit dem Servicewagen in das Zimmer kam, saß sein Besucher im Schaukelstuhl vor Baxters Bild und zog die Mütze wie einen Rosenkranz durch die Finger. Aus seinen Augenwinkeln lösten sich Tränen und glitten über die faltigen Wangen. Timothy fuhr den Servicewagen neben den Schaukelstuhl und ließ seinen Sessel danebengleiten.
    »Entschuldigen Sie.« Der Alte schnaufte. »Ich hoff’ ja immer noch, daß Sammy nischt passiert is, trotzdem.«
    Timothy goß ihm Tee ein. Der Alte nahm bedächtig einen Schluck, sah Timothy mit großen Augen an, nahm einen zweiten Schluck und schlürfte dann hastig die Tasse leer, als habe er Angst, man könne sie ihm wieder wegnehmen.
    Timothy goß gleich nach.
    »So ’n guten Tee hab’ ich mein Lebtag nicht getrunken«, sagte der Alte und maß die Kanne mit einem Blick.
    »Wenn Sie nett zu mir sind«, antwortete Timothy, »schenke ich Ihnen ein Päckchen davon.«
    »Bin ich«, erwiderte der andere eifrig. »Die Chefin hat gesagt, zu Ihnen darf ich offen sprechen. Also fragen Sie nur.«
    »Sie können Vertrauen zu mir haben«, sagte Timothy sanft, »absolutes Vertrauen. Ich werde niemandem verraten, worüber wir gesprochen haben. Und ich habe für alles Verständnis.«
    Der andere musterte ihn, dann nickte er. »Ja, glaub’ ich, wo Sie doch selbst fast so was wie ’n –« Er hielt erschrocken die Hand vor den Mund.
    »Wie ein Monster?« ergänzte Timothy freundlich lächelnd. »Nee, ’n Muta.«
    »Ein Muta?«
    »So nennen wir sie, die Mutierten, wenn Sie wissen, was eine Mutation ist, Mister.«
    »Weiß ich. Woher kennen Sie Samuel Baxter?«
    »Ich war doch sein Nurse!«
    »Nurse?« Timothy mußte unwillkürlich kichern, als er sich den ungeschlachten Kerl in der Tracht einer Krankenschwester vorstellte. Er wurde schnell wieder ernst. »Heißt das so in Fort Baxter?«
    »Ja, und alle nennen mich auch so.«
    »Gut, Nurse, erzählen Sie mir von Samuel. Sie hängen sehr an ihm, was?«
    »Tu ich. Immer noch. Obwohl ich ihn ja schon ein paar Jahre nicht mehr hab’. War mir der liebste von allen. Hatte ihn richtig ins Herz geschlossen. Ich meine, so ’n Wesen ist doch auch ’n Mensch, hat aber niemand nich, kein’ Vater, keine Mutter –«
    »Wirklich nicht? Muß nicht jeder Mensch Vater und Mutter haben?«
    Nurse setzte sich auf und machte eine gewichtige Miene. Sicher hatte er nur selten Gelegenheit, jemanden zu belehren.
    »Also, der Samen, ja? Der kommt in Ampullen. Ebenso das Ei.

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