Wer stirbt, entscheidest du
Job. Sie steckten nicht einfach nur ihre Karte in die Stechuhr, schoben ihren Dienst und ließen sich dann von einem Kollegen ablösen. Ihr Beruf war eine Art Berufung und erforderte Engagement, nicht zuletzt in der Gruppe, mit der sie den größten Teil ihrer Zeit verbrachten.
D.D. hatte sich schon gefragt, ob Tessa engere Kontakte zu Kollegen unterhielt, womöglich sogar zu einem Vorgesetzten wie dem Lieutenant. Aber offenbar war dem nicht so.
«Darf ich Ihnen eine Frage stellen?», sagte Hamilton plötzlich.
«Mir?» D.D. war sichtlich verwundert, nickte dann aber.
«Verkehren Sie privat mit Kollegen? Bei einem Glas Bier, einer kalten Pizza oder vorm Fernseher?»
«Klar. Aber ich habe keine Familie», antwortete D.D. «Und ich bin älter. Tessa Leonie ist eine junge, hübsche Mutter, die es mit einer Kaserne voll männlicher Kollegen zu tun hat. Als einzige Frau, ist das richtig?»
«In Framingham, ja.»
D.D. zuckte mit den Achseln. «Es gibt insgesamt nur wenige Frauen in Blau. Wenn es Trooper Leoni an Korpsgeist gemangelt hat, kann ich das durchaus nachempfinden, aber …»
«Wir hatten nie Beschwerden wegen sexueller Übergriffe, wenn Sie das meinen», beeilte sich Hamilton zu sagen.
«Betroffene hätten in einem solchen Fall auch jede Menge Papierkram am Hals, und das ist nicht jeder Frau Sache.»
Hamilton mochte nicht, was er da hörte. Seine Miene verfinsterte sich. Er wirkte nun geradezu aggressiv.
«In der Kaserne haben wir Leonis Vorgesetzte angehalten, dafür zu sorgen, dass die Kollegin das Gefühl haben kann, dazuzugehören. Man hat es versucht, aber die Ergebnisse lassen zu wünschen übrig. Eine alleinstehende Frau hat es in reiner Männergesellschaft zugegebenermaßen nicht besonders leicht. Andererseits aber scheint Trooper Leoni an besseren Beziehungen auch nicht sonderlich interessiert zu sein. Sie gilt, um ehrlich zu sein, als Einzelgängerin. Selbst diejenigen Kollegen, die sich um ihre Freundschaft bemüht haben …»
«Wie zum Beispiel Trooper Lyons?», unterbrach D.D.
«Wie zum Beispiel Trooper Lyons», bestätigte Hamilton. «Selbst diese Kollegen sind mit ihr nicht warmgeworden. Dabei gehört zum guten Teamwork eben auch ein freundschaftliches, um nicht zu sagen herzliches Miteinander. In der Hinsicht hapert es bei Trooper Leoni.»
«Apropos herzliches Miteinander», schaltete sich Bobby ein. «Ist Ihnen zu Ohren gekommen, dass Leoni eine Affäre mit einem ihrer Kollegen hatte oder hat? Oder ob einer der Kollegen mit ihr angebandelt hat und vielleicht sogar bei ihr landen konnte?» Bobby schien bewusst zu sein, dass er Hamilton mit seiner Frage in die Verlegenheit brachte, auf Klatschgeschichten einzugehen, und klang so, als wollte er sich im Vorhinein dafür entschuldigen.
«Ich habe mich erkundigt. Wie es aussieht, steht ihr von allen Kollegen Trooper Shane Lyons am nächsten, und das wahrscheinlich auch nur deshalb, weil er und ihr Mann befreundet waren.»
«Kannten Sie ihn?», fragte D.D. «Ich meine, ihren Mann Brian Darby. Oder ihre Tochter Sophie?»
«Ja, ich kannte beide», antwortete Hamilton feierlich, was D.D. überraschte. «Über die Jahre sind wir uns auf diversen Gartenpartys oder Familientreffen begegnet. Sophie ist ein bezauberndes kleines Mädchen. Ziemlich forsch, wenn ich mich recht erinnere.» Er runzelte die Stirn und schien einen inneren Kampf auszutragen. «Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Trooper Leoni ihre Tochter sehr liebt», sagte er plötzlich. «Das ist mir jedenfalls immer aufgefallen, wenn ich die beiden gesehen habe – an der Art, wie Tessa mit ihr umgeht. Kaum vorstellbar, dass …»
Hamilton senkte seinen Blick. Er räusperte sich und legte die gefalteten Hände auf den Schreibtisch. «Traurige Geschichte», murmelte er vor sich hin.
«Und Brian Darby?», fragte Bobby.
«Ihn habe ich sogar schon vor Tessa Leoni kennengelernt. Brian war ein guter Freund von Trooper Lyons. Ungefähr vor acht oder neun Jahren tauchte er das erste Mal als Gast einer Gartenparty auf. Danach war er ein paarmal mit uns bei den Boston Bruins, und gelegentlich sah ich ihn auch in unserer Pokerrunde.»
«Ich wusste gar nicht, das Sie und Trooper Lyons sich so nahestehen», bemerkte D.D.
Hamilton bedachte sie mit strengem Blick. «Wenn ich von meinen Leuten eingeladen werde, komme ich der Einladung nach. Kameradschaft ist wichtig, und die wird nicht nur im Dienst gepflegt, sondern auch im Rahmen privater Zusammenkünfte. Sie sind unerlässlich,
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