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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus.
    Ein Mann muß leiden können, dachte er schwer atmend. Verdammt, für ein paar Meter bis zur ewigen Ruhe lohnt es sich, vor Schmerz zu brüllen. Dann wird Stille sein. Wunderbare Stille.
    Er wälzte sich auf den Bauch, biß vor Schmerz in den feinen, gelbweißen, wie Pulver aufstäubenden Sand, ruhte sich nach dieser Anstrengung wieder aus und sammelte neue Kraft für sein Vorwärtskriechen in den Tod.
    Es sind nur vier oder sechs große Schritte, dachte er. Wie wertvoll so ein Schritt werden kann. Da geht man fünfunddreißig Jahre lang aufrecht durch dieses Leben und weiß gar nicht, wieviel sechs Schritte wert sind. Aber man schafft sie, du Satan Meer – man kann sie schaffen, auch mit einem zertrümmerten Bein. Und weißt du, wie? Ich werde es umklammern und mich wegrollen, ich werde mich mit dem rechten Bein abstoßen, brüllen und rollen – bis zu dir, du Scheißmeer, bis ich in deinem Wasser liege, und wenn der Boden zu flach ist, werde ich dich aussaufen, ich werde dich zwingen, mich zu ersäufen …
    Über ihm war jetzt wieder der Flügelschlag des großen Vogels. Werner Bäcker hob den Kopf, beugte sich nach hinten und sah in den Himmel. Ein weißer Vogel umkreiste ihn, schwanengroß, mit weitgespannten, segelnden Flügeln.
    Vier Meter in der Spannweite werden es sein, dachte er völlig sinnlos. Ein Albatros. Nisten sie hier auf der Insel? Sieh gut zu, Albatros. So stirbt ein Mann. Du wirst so etwas nicht oft zu sehen bekommen.
    Er begann auf dem Bauch zu kriechen wie ein Wurm. Zog sich zusammen, streckte sich, wühlte eine breite Furche durch den Sand und eroberte Stück für Stück den Weg zum Meer.
    »Es geht«, keuchte er. »Du kannst dich nicht zurückziehen, wie ich vorwärtskomme, du verdammtes, stilles, sanftes, mit deinen Wellen den Strand streichelndes Meer!«
    Ab und zu hielt er inne, klapperte mit den Zähnen vor Schmerzen. Der Schweiß löste das Salz an seinem Körper auf und floß als ätzende Brühe über ihn. Er legte den Kopf auf die Unterarme und überlegte, ob man nicht sterben kann, wenn man den Kopf in diesen heißen Sand steckte und sich an ihm vollfraß, bis man erstickte.
    Ich schaffe es nie, dachte er, und war nahe daran, vor Wut und Qual aufzuheulen. Fünf Meter nur noch, dann durch das flache Wasser. Aber das ist mein Freund, es trägt bereits und macht es leicht, hinaus in die Tiefe zu kommen, in die ich hinunter will. Aber so schaffe ich es nie. Mein Bein hindert mich daran, ein Mann zu sein.
    Vier Meter vom Meer entfernt blieb er wieder liegen. Mit offenem Mund ruhte er sich aus, und der leichte Wind, der über die Insel strich, war gut und roch nach irgendeinem Gewürz, das er nicht kannte. Er wälzte sich auf den Rücken zurück und betastete seine Füße, die Unterschenkel, die Muskeln bis zur Hüfte. Überall brannte es in ihm; jetzt war es schwer, genau zu sagen, wo das linke Bein gebrochen war. Er wußte nur, daß dieses verfluchte Bein an ihm hing und ihm doch nicht mehr gehörte.
    »Gut, du glattes Meer, leben wir weiter!« sagte er heiser. Das Salz brannte ihn auch von innen aus, und wenn der Schmerz etwas nachließ, überfiel ihn der Durst mit schrecklicher Sehnsucht. Dann dachte er flehend: Hör nicht auf, Schmerz. Bleib bei mir. Du bist ein besserer Kamerad als der Durst. Dich kann ein Mann ertragen.
    »Gut«, sagte er noch einmal. »Im Augenblick bist du stärker, Meer. Warten wir noch eine Weile. Nur so lange, bis ich besser kriechen kann. Zum Sterben ist immer Zeit, man braucht da nicht den Minuten nachzurennen.«
    Er stützte sich auf den Ellenbogen und blickte um sich.
    Landeinwärts sah er einen vom Meer angenagten Hang. Ein paar hohe, schlanke Kokospalmen fächerten ihre Blätter im Wind, gewaltige Bambuswedel bogen sich in der Luft, die mild und lind war wie Seide. In den Zweigen weiß und rot blühender Gestrüppe saßen wie große, dunkle Zapfen Scharen von Vögeln.
    Überall ist Leben, dachte er. Der Wind trägt es weg über Tausende von Meilen und lädt es einfach ab. Und dann ist ein Flecken Erde da, und es wächst und wächst und weiß nicht, warum es wächst. Vielleicht, damit die Vögel darin nisten.
    Ich bin kein Vogel.
    Er setzte sich unter Zähneknirschen, umklammerte sein zerschmettertes Bein und blickte böse über das ruhige Meer.
    »Ich will sterben!« brüllte er und wunderte sich, wie stark noch seine Stimme war. »Ich komme zu euch, Vicky, Holger, Peter, Marion … Laßt mir nur Zeit, mein Bein zu besiegen. Ich schaffe es schon

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