Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
von einem anderen Stern gefallen?
Er streckte sich vorsichtig. Das Bein signalisierte Schmerz, es knirschte in den Knochen.
Um besser atmen zu können, werde ich mit dem Hinterkopf eine Kuhle in den Sand bohren, dachte Bäcker. Ich werde leben wie eine Viper.
Er streckte sich vollends aus, empfand den heißen Schatten unter der gespannten Decke als wohltuend und schlief erschöpft ein.
Als er erwachte, hatte er die Erinnerung an die Zeit verloren. Er mußte lange und gut geschlafen haben, denn er lag auf dem Bauch, und seine Erschöpfung war so tief gewesen, daß selbst die Schmerzen im Bein ihn nicht zurück an die Oberfläche rissen.
Jetzt fühlte er sich frischer, aber als er den Versuch machte, sich umzudrehen, schlug ihm der Schmerz mit geballter Faust in das Herz.
»Oho, Bein –«, keuchte er. »Fängst du schon wieder an? Ich habe mich erholt und du auch, nun geht's in die nächste Runde? Na warte, ich zeig es dir!«
Er riß den Hammer an sich, biß in den Stiel, wälzte sich herum mit dumpfem Brüllen und lag dann auf dem Rücken, Holzsplitter zwischen den Zähnen.
Die Sonne schien noch immer – oder schon wieder, er wußte es nicht, und auch der schöne, große Albatros war wieder da, schwebte lautlos über ihn hinweg und strich dicht am Meer den Strand entlang.
»Wärst du ein Geier –«, sagte Bäcker und verfolgte den Flug des Vogels, »würde ich mit der Signalpistole auf dich schießen. Ob ich dich treffen würde, weiß ich nicht, es ist eine Kunst, mit einer Signalpistole nach einem Geier zu schießen, wer hat das schon versucht – aber du bist ein friedlicher Vogel, Albatros, ein Freund. Ich danke dir, daß du da bist.«
Der Vogel kam vom Meer zurück, setzte sich in sicherer Entfernung vorsichtig vor Bäcker in den Sand und beäugte ihn. Der Wind blähte sein Gefieder. Er sah herrlich aus.
»Worauf wartest du?« sagte Bäcker und setzte sich gerade. »Ein Logenplatz für das Schauspiel: Wie verreckt ein Mensch, was? Ein langweiliges Theater, Vogel, laß es dir gesagt sein. Wenn ihr sterbt, stürzt ihr ins Meer, und selbst euer Tod sieht noch grandios aus. Aber ein toter Mensch, Albatros, ist etwas Häßliches. Ein Haufen Fleisch, das verfault und stinkt. Es lohnt sich nicht zu warten …«
Er sprach und sprach und merkte dabei nicht die Wandlung, die sich in ihm vollzog.
Er merkte nicht, daß er weiterleben wollte …
III
Auf den Knien, den Deckel des Verbandskastens als Unterlage, schrieb er später, als die Schmerzen im Bein etwas nachließen, einen Brief. Die Decke hatte er als Sonnenschutz über seine Schulter gezogen, es war heiß darunter. Die Haut juckte und begann, sich an vielen Stellen zu röten, große, vom Salz verätzte Flächen, und während er schrieb, dachte er: Die Natur ist eigentlich gründlich, das muß man ihr zugestehen. Sie läßt einen mehrmals sterben, um ganz sicher zu sein. Mein Bein kann mich umbringen, der Durst und jetzt auch noch die Haut. Das Salz und die Sonne verbrennen sie, und da ein Mensch nicht nur durch Nase und Mund und mit der Lunge atmet, sondern auch durch seine Haut, werde ich ersticken. Ich kann es mir aussuchen: freie Auswahl für den Tod. Aber es bleibt dabei … aus dem Meer bin ich gekommen, zum Meer kehre ich zurück.
Den Brief schrieb er auf ein Blatt, das er aus einem Schulheft riß. Auch dieses Heft lag in der Gummiinsel, sicherlich als Grundlage für eine Art Tagebuch, in das man hineinschreiben sollte: am soundsovielten Schiffbruch, Treiben auf dem Meer, alles wohlauf. Das ist eine gute Insel. Wir hoffen, daß uns jemand sieht und aus der See fischt … So ähnlich stellt man es sich vor, aber keiner denkt an ein verdammtes, zerschmettertes Bein, an den Durst und das die Haut verbrennende Salz.
Was er zu sagen hatte, schrieb er mit Bleistift auf das Schulheftblatt, holte eine Flasche aus der Gummiinsel, füllte den Inhalt, warmes, gurgelnd sprudelndes Mineralwasser, in einen Plastikbeutel um, und schwang dann die verschlossene Flasche, nachdem er den Zettel, mehrmals gefaltet, hineingesteckt hatte, einige Male über seinem Kopf. Mitten im Schwung ließ er sie los, in der Sonne aufblitzend flog sie davon, klatschte tatsächlich ins Wasser und schaukelte dann träge in der schwachen Dünung.
»Natürlich kommst du nie an«, sagte Bäcker laut. »Die Strömung steht zur Insel. Wäre ich sonst hier gelandet? Ich weiß das alles, aber es ist gut, zum letztenmal zu schreiben, das Leben hat's verdient, denn mein Leben hatte es
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