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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    Dann war der Albatros wieder da, umkreiste ihn, zerteilte die Sonnenstrahlen mit seinem Gefieder und zeigte mit unwissender Grausamkeit, wie schön das Leben ist.
    Werner Bäcker wartete, bis er soweit war, daran zu glauben, sich an den nie abreißenden Schmerz gewöhnt zu haben. Er wälzte sich auf die gesunde Seite, hielt das gebrochene Bein mit beiden Händen umklammert und rutschte am Ufer entlang zu der zerfetzten Gummiinsel. Er erreichte sie mit knirschenden Zähnen und einem kaskadenartigen Flimmern vor den Augen, legte den Kopf auf das heiße Gummituch und merkte erst jetzt, daß etwas Seltsames mit ihm geschehen war. Er blickte die Strecke zurück, die er überwunden hatte, und begriff nicht, wie es möglich war, sie zu schaffen. Sie war um das Doppelte länger als die Strecke bis zum Meer, wo er versagt hatte.
    »Der Drang zum Leben ist stärker als zum Tod, das ist es«, sagte er laut. »Aber glaubt nicht, daß ich da mitspiele. Ich überliste dich, Natur. Ich will nur leben, um mich für das Sterben fit zu machen.«
    Die Rettungsinsel hatte nicht nur ihn an Land gebracht, sie war auch mit dem gesamten Inhalt ihrer verschiedenen Packtaschen auf die Insel geschleudert worden. Nun lag sie da, wie eine beim Untergang heruntergefallene Sonne leuchtend, und Bäcker tastete sie ab und verfluchte die Versuchung, der er immer mehr erlag.
    Er wälzte sich auf ihren noch unversehrten Boden, sah, daß drei Luftkammern aufgeschlitzt waren, und schlug mit der flachen Hand auf den Gummi.
    »Du den Bauch, ich das Bein … wir gehören zusammen. Wir werden gemeinsam krepieren, nur ist es um dich schade, denn du warst eine gute Insel, aber ich war ein schlechter Kapitän. Natürlich, Kumpane sind wir auch … du warst dabei, als ich meine Frau und die drei Kinder tötete. Nein, widersprich nicht. Sag nicht, das Meer hat sie ersäuft. Oder: Die Haie haben sie zerrissen. Das ist zu einfach, Vetter! Ich habe sie auf dieses Saumeer gebracht, und als der Sturm kam, konnte ich nichts als brüllen. Das ist zuwenig für einen Mann! Und deshalb müssen wir jetzt sterben.«
    Aus den wasserdichten Taschen der Gummiinsel holte er heraus, was er vor Wochen hineingepackt hatte: einen Wassertank aus Plastik und Lebensmittel in Büchsen für zwei Wochen. Verbandszeug, einen Werkzeugkasten, eine Signalpistole mit weißen und roten Raketen, eine Seekarte des südwestpazifischen Bassins, ein ausrollbares Stoffband, auf dem in roter Leuchtfarbe SOS geschrieben stand, zwei Decken und einen kleinen Sextanten.
    Er breitete alles vor sich aus wie ein arabischer Händler seine Ware im Basar, ordnete alles mit einer höhnischen Akkuratesse, legte Stück neben Stück in den weißen Sand, und dann saß er davor und rang mit einem widerwärtigen Gefühl von Hoffnung.
    Eine Zange, einen Beutel Nägel, einen Hammer, einen Zollstock und ein Beil – das hatte ein Neandertaler nicht, als er zu leben begann. Und trotzdem erschlug er Mammuts und wurde der Vater aller Menschen.
    Werner Bäcker setzte den Sextanten an die Augen und maß den Sonnenwinkel. Die Seekarte auf den Knien, zog er mit einem Bleistift einen Kreis mitten in das Meer.
    »Länge 140 Grad West, Breite 12 Grad Süd …«, sagte er dabei laut. Es war gut, seine eigene Stimme zu hören. Er war so gut, dieser Klang, daß er die Worte mehrmals wiederholte und auf ihn lauschte. Nach einer Weile schrie er: »140 West und 12 Süd!« und sah sich um, wo die Töne blieben.
    Sie zerfaserten schon dicht vor seinen Lippen.
    »Mein Gott«, sagte er da. »Wie einsam bin ich hier.«
    Es war das erste Mal, daß er Gott beim Namen nannte.
    Er knüllte die Gummiinsel zu einem Paket zusammen, breitete eine der Decken aus, zog sie über das Paket und beschwerte die Auflage mit Sand. Dann kroch er einen halben Meter weiter, schaufelte mit den Händen Sand zu einem kleinen Hügel und legte mit großer Mühe das andere Ende der Decke darüber. Auch hier beschwerte er sie mit einem Sandhaufen, stellte noch den Werkzeugkasten darauf und prüfte mit der flachen Hand die Stabilität der gespannten Decke.
    In dieses winzige Tal zwischen Gummiinsel und Sandhügel, unter das Dach einer Decke, legte er seinen Kopf.
    Mein erstes Zelt im neuen Leben, dachte er. Dreißig Zentimeter über dem Sand. Ein flacher, erbärmlicher Schatten, aber er bedeckt den Kopf. Ihn brauche ich noch, um das Meer zu überlisten. Früher habe ich Hochhäuser gebaut, Betonpaläste und gläserne Hallen. – Wo war das, Gummiinsel? Sind wir

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