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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Feiern! Shirley, Sie haben wirklich weder Phantasie noch Gemüt, Sie sind ein Mensch aus Aktenpapier. Das hier ist eine Hochzeit! Eine richtige Hochzeit! Eine Nacht des Glücks! Es muß getanzt werden.«
    Er verbeugte sich vor Anne wie in einem Ballsaal, sie legten die Arme umeinander, und Bäcker begann zu summen.
    Shirleys Augen weiteten sich … sie begannen wirklich zu tanzen, wiegten und drehten sich im Walzertakt, tanzten durch den Sand hinunter zum Meer, schwebten an den Wellen vorbei. Bäcker hielt Anne an den Schultern umklammert, und sie breitete selig die Arme aus, die schwarzen Haare wehten im Wind, die Körper drehten und wiegten sich schwerelos wie die kleinen Wolken von Sandstaub, die unter ihren Füßen aufquollen und sie in gelbe Nebel einhüllten – eine Frau, wie von einem anderen Stern gefallen, und ein Mann mit einem hinkenden Bein und einem zerstörten, vom Feuer einer Signalrakete zerfressenen Gesicht.
    Shirley wandte sich ab und kroch in die Hütte. Es war ihm unmöglich, diesen Anblick zu ertragen, ohne dabei laut schreien zu müssen.
    Am nächsten Morgen stand Bäcker wieder vor dem Riesenstamm und stieß ihn mit dem Beil an.
    »Jetzt geht es dir an den Kragen, mein Alter!« sagte er. »Wir werden dich zum Meer rollen, und natürlich wirst du alles tun, um das zu verhindern. Wenn du logisch denken könntest, würdest du nachgeben, alter Baum. Bis zum Hang sind es neunzehn glatte Meter. Wir haben die Strecke gerodet, nichts steht uns mehr im Weg. Wenn wir dich in vierundzwanzig Stunden nur einen Meter bewegen – und das müßte möglich sein –, haben wir dich in neunzehn Tagen an der Böschung. Dann geht's hinunter auf den Strand. Bis zum Meer, zum weitesten Punkt der Flut, sind es noch einmal vierzig Meter. Das sind vierzig Tage, dicker Baum! In zusammen neunundfünfzig Tagen hätten wir dich also im ungünstigsten Falle am Wasser – dann wirst du ausgebrannt. Was sind neunundfünfzig Tage für uns? Wir haben uns an andere Zeitbegriffe gewöhnt. Uns schrecken Zahlen nicht mehr. Neunundfünfzig Tage Kampf mit deiner Größe sind neunundfünfzig Tage ohne Langeweile, ohne Einsamkeit. Das Sinnloseste bekommt jetzt einen Sinn. Selbst wenn man einen Graben quer durch die Insel schaufeln würde … wenn das hilft, den Wahnsinn zu verjagen, hat alles einen Sinn!«
    Durch den Hohlweg kamen Shirley und Anne. Sie brachten Plastikbeutel mit Wasser und kaltem Fleisch mit.
    »In fünf Tagen kommt das Flugzeug«, sagte Shirley mit der ihm eigenen Sturheit. »Sollten wir nicht noch warten?«
    »Bis dahin können wir wenigstens fünf Meter geschafft haben.«
    »Aber wir brauchen doch dann diesen Miststamm nicht mehr.«
    »Und wenn uns das Flugzeug nicht sieht? Dann haben wir fünf Tage verloren.«
    »Man kann nicht vier rote Leuchtkugeln übersehen …«
    »Es kann ein Regentag sein, und das Flugzeug fliegt über den Wolken. Oder es umgeht ein Schlechtwettergebiet …«
    »Dann kommt es am nächsten 25. wieder.«
    »Und so warten und warten wir und verblöden langsam und merken es nicht. Shirley, wollen Sie sich vor der Arbeit drücken?«
    »Das ist das letzte, was man mir nachsagen soll. Wo sind die Hebelbalken?«
    Er spuckte in die Hände, aber er hatte seine Bärenkraft verloren. Der Riesenbaum und eine kleine, faule Muschel hatten ihn innerlich zertrümmert. Er war in den Wochen sichtbar eingefallen, die Muskeln wirkten schlaff, und selbst wenn er die Beine spreizte, schwankte er etwas. Früher hätte ein Ochse gegen ihn anrennen können, er wäre nicht umgefallen. Als er jetzt den dicken Knüppel in beide Fäuste nahm und unter den Stamm schob, sah es aus, als wolle er sich stützend dagegen lehnen, aber nicht, als könne er mit dem Druck seines Körpers den Baum von der Stelle bewegen.
    Bäcker sah zu Anne hinüber, die neben Shirley gleichfalls mit einer Holzstange drückte. »Du nicht!« sagte er. »Denk an das Kind.«
    »Es wird später mehr aushalten müssen als das«, antwortete sie. »Es soll sich dran gewöhnen. Können wir jetzt?«
    »Ja!« Bäcker schob wieder den Fetzen Gitterstoff aus Shirleys Unterhemd über seine lidlosen Augen. »Auf Kommando! Heeebt – an!«
    Der erste Hebeldruck. Der dicke Stamm bewegte sich, rollte um ein paar Zentimeter, aber als sie die Hebel wegzogen, um sie neu darunterzustemmen, rollte der Baum wieder zurück.
    »Du Miststück!« schrie Shirley und trat gegen den Stamm. »Du Scheißkerl von einem Baum!«
    »Aber er gibt nach, Paul! Er hat sich bewegt. Er

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