Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
ist verwundbar. Wir müssen nur klüger sein als er. Nach jedem Ruck halten Sie Ihren Hebel so lange drunter, bis wir unsere Stangen neu angesetzt haben. Daß er sich überhaupt gerührt hat, ist phantastisch. Ich gebe es jetzt zu: Ich habe das nicht erwartet. Also, noch einmal. Heeebt – an!«
Sie drückten und schoben, keuchten und kämpften, schwitzten und legten alle Kraft in die Hebelstangen, bis sich die Welt vor ihnen in kreisende bunte Punkte auflöste. Zuerst war es Shirley, der seinen Knüppel wegwarf und sich auf den Stamm setzte.
»Noch einmal Ihr verfluchtes ›Heeebt – an‹ … und ich erwürge Sie!« stöhnte er. »Ich bin nur noch ein nasser Lappen.«
Auch Anne sank neben dem Stamm zusammen … sie hatte bis zuletzt mit einem verzerrten Lächeln durchgehalten, hatte die Stange auf ihre Schulter gelegt und mit ihrem ganzen Körpergewicht gedrückt. Jetzt lag sie über dem Stamm wie ein dürrer, abgehackter Ast.
»Drei Meter –«, sagte Bäcker. Er röchelte vor Erschöpfung, aber er war stolz auf die geleistete Arbeit. »Drei Meter! Das sind drei gewonnene Tage nach meiner ungünstigsten Berechnung.«
»Ich werde sie brauchen, um zu schlafen«, sagte Shirley tonlos. »Jetzt weiß ich, warum man beim Pyramidenbau die Sklaven mit Peitschen zur Arbeit treiben mußte. Bäcker, Sie werden es bei mir auch tun müssen!«
Sie ruhten sich eine Stunde aus, aßen kaltes Fleisch und tranken lauwarmes Regenwasser, das ihnen aber köstlich kühl vorkam, griffen dann wieder zu den Knüppeln und schoben sie unter den Stamm.
»Ich glaube, es ist einfacher, sich mit dem Schicksal, auf dieser Scheißinsel zu bleiben, abzufinden, als diesen Baum ans Wasser zu bringen«, schrie Shirley nach einem weiteren Meter. »Ich kann nicht mehr, und ich will auch nicht mehr. Ich brauche meine letzte Kraft zum Atmen, Fressen, Saufen, Pissen und Scheißen! Wenigstens das soll man mir lassen! Mehr will ich vom Leben gar nicht mehr haben!«
Er warf seinen Knüppel hin, spuckte den Baum an und schwankte zur Hütte zurück.
Am Abend saß Shirley an der Hüttenwand und schrieb mit Bäckers Bleistift den weißen Rand der im Verbandskasten liegenden ›Anleitung zur Benutzung der Erste-Hilfe-Ausrüstung‹ voll. Bäcker, der mit Anne im Meer gebadet hatte und taumelnd vor Erschöpfung über den Strand hinkte, blieb erstaunt vor Shirley stehen.
»Was machen Sie denn da?« fragte er.
»Ich schreibe einen Brief, das sehen Sie doch.«
»Der Briefkasten ist aber schon geleert«, sagte Bäcker voll bitterem Humor. »Die nächste Post geht vielleicht in hundert Jahren.«
»Sie werden mir eine Wasserflasche schenken, Werner.«
»Alle drei, Shirley. Was versprechen Sie sich davon? Ich habe bereits am 29. April eine Flaschenpost ins Meer geworfen. Es war meine erste Handlung auf der Insel. Auf der Seite liegend wie eine sterbende Robbe, habe ich den Brief geschrieben. Ob's genau der 29. April war, weiß ich nicht – ich habe das Datum angenommen und meinen Kalender damit begonnen. Wie lange mich das Meer in meiner Rettungsinsel herumgeschleudert hat, bis es mich hier ausspuckte, kann ich nicht sagen. Und was geschah? Die Flasche tanzte drei Tage wie zum Hohn vor meinen Augen auf der Dünung, schlug fröhliche Saltos, lag einen Tag auf einer Klippe – dann war sie weg. Vielleicht ist sie irgendwo auf einen Stein geprallt und zersplittert. Es kann sein, daß Sie mehr Glück haben, aber es ist völlig sinnlos!«
»Ich schreibe auf englisch, französisch und polynesisch.«
»Das wird einen Analphabeten sehr erfreuen!«
»Es ist immer noch besser als Ihr verfluchter Stamm!« schrie Shirley.
Er war in letzter Zeit leicht reizbar. Dabei vergaß er völlig, daß der Einbaum seine Idee gewesen war und er den Riesenstamm in tagelanger, verbissener Arbeit allein gefällt hatte.
»Die Strömungen hier sind ein Wunder für sich«, sagte er. »Wir werden einen Fetzen von einer Schwimmweste unter den Korken klemmen … das Gelb leuchtet auf weite Entfernung!«
Er schrieb weiter, mit einer aufgestauten Wut, und Bäcker störte ihn nicht mehr.
Später kam ein starker Wind auf, das Meer wurde wieder irrsinnig, trug weiße Schaumkronen und signalisierte Vernichtung. Bäcker wie auch Shirley kannten das. Sie untersuchten die Hüttenpfosten, stützten sie durch Querstreben noch extra ab und legten zur Beschwerung Stämme auf das Dach.
»Das gibt ein großes Rauschen!« sagte Shirley, als der Wind die langen schlanken Palmen an der Böschung zu
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