Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
biegen begann und jener verteufelte Heulton aufklang, der bis ins Mark der Knochen dringt. »Jetzt hinein mit der Flasche ins Meer … dann bekommt sie den Drall, den sie braucht.«
Er rannte hinunter zum Ufer, holte weit aus und warf die Flasche in die schäumenden Wellen. Sie wurde sofort zurückgeschleudert, als spucke das Meer sie voll Ekel aus, aber eine andere sich überschlagende Welle nahm sie wieder mit, der gelborange Lappen aus der Schwimmweste tauchte in die Tiefe, und dann war nur noch das grünschwarze schillernde Wasser da und das untergrundige Brüllen einer nie besiegbaren Natur.
Shirley kam zurück, der Sturm trieb ihn vor sich her wie ein Blatt. Auf halber Strecke zur Hütte öffnete sich nun auch noch der Himmel und deckte ihn mit einem solchen Schwall peitschenden Regens zu, daß er wie von Fäusten geprügelt die letzten Meter vorwärts stürzte und in der Hütte wortlos an der Wand zusammensank.
»Sie ist weg!« sagte er nach einer ganzen Zeit keuchenden Atemholens. »Ich habe es gesehen … sie treibt ab!«
Dann hatten sie alle Mühe, ihre Hütte festzuhalten. Die Pfosten schwankten unter dem Anprall des Sturmes, und die drei Menschen stemmten sich dagegen, drei armselige kleine Menschen im Kampf gegen die entfesselte Urgewalt.
Der Sturm heulte zwei Tage und zwei Nächte. Das Meer brandete bis drei Meter an die Hütte heran, brüllend und schäumend, voll Vernichtungsdrang, aber ihm fehlten eben diese drei Meter bis zum Sieg. Der Regen floß durch das Dach. Triefend vor Nässe, durchgeweicht bis auf die Knochen, hockten Anne, Bäcker und Shirley auf der Erde, hielten die Pfosten der Hütte fest und waren zum Warten verurteilt.
Dann zog sich das Meer zurück und beruhigte sich. Der Sturm wimmerte nur noch, es klang, als weinten um sie herum tausend Kinder. Der Himmel riß auf, und über dem Chaos leuchtete wieder, erst als Flecken nur, dann in immer wachsenden Stücken, die blaue Unendlichkeit. Sofort brannte die Sonne wieder mit ungebrochener Kraft.
»Wenn wir jetzt mit unserem Einbaum draußen gewesen wären –«, sagte Shirley heiser. »Ich glaube, Werner, wir wollen etwas erzwingen, was gar nicht möglich ist.«
»Morgen kommt das Flugzeug«, sagte Bäcker.
Es klang, als habe er Amen gesagt.
Und es kam. Pünktlich, fast fahrplanmäßig. Ein Brummen, das wie Engelsstimmen in ihren Ohren klang.
Shirley tanzte vor Freude über den Strand. Bäcker und Anne rollten die lange Stoffbahn mit der Leuchtschrift SOS im gelben Sand aus, und als sie das silbern glitzernde Ding am Himmel sahen, rannte Shirley zur Böschung, um die Pistole und die Raketen zu holen.
Die Pistole lag geschützt in einem Plastikbeutel, aber als er die Raketen aus der wasserdichten Tasche holte, griff er in eine Lache. Mit einem Schrei riß Shirley die Tasche auf. Der Sturm hatte sie gegen einen Pfahl geschleudert, sie war an der Seite aufgeschlitzt worden, und jetzt schwammen die Raketen im Wasser, durchgeweicht, unbrauchbar, vernichtet.
Shirley warf die Hände vor sein Gesicht und heulte. Er heulte allen Jammer einer hilflosen Kreatur aus sich heraus, griff immer wieder nach den Raketen, schlug mit dem Kopf gegen die Böschung, und es sah aus, als wollte er sich selbst zertrümmern.
Hoch über ihm, glitzernd, mit gläserner Kanzel, leuchtenden Flügeln und breiten Schwimmern unter dem Rumpf zog das Flugzeug vorbei.
Das Leben! Das greifbar nahe Leben!
Und Shirley stand da, die aufgeweichten Raketen in den Händen, warf sie in den Himmel und brüllte, brüllte und brüllte …
Vom Strand rannte Bäcker herauf. Anne stand am Meer, klein, unendlich schmal gegen den weiten Himmel und die anrollenden Wellen, schwenkte verzweifelt den Stoffstreifen mit dem leuchtenden SOS und schien hinauf in die blaue Grenzenlosigkeit zu schreien. Das Rauschen des Meeres verschluckte ihre Stimme.
»Warum schießen Sie nicht?« brüllte Bäcker. »Können Sie mit einer Pistole nicht umgehen? Diese Chance, diese einmalige Chance! Noch nie war das Flugzeug so tief über der Insel!«
»Die Raketen sind naß!« heulte Shirley zurück. Er gebärdete sich wie ein Irrer, tanzte hin und her, warf die unbrauchbaren Signalraketen in die Luft, trat sie wie Bälle weg und lehnte sich schließlich zitternd an die Sandböschung. »Wir werden hier verfaulen –«, stammelte er. »Werner, wir werden hier nie, nie wegkommen. Wir müssen uns ertragen bis an das Ende unserer Tage – bis wir uns eines Tages alle zusammen umbringen!«
Bäcker hob
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