Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
die weggeworfenen Raketen aus dem Sand und untersuchte sie. Die Kartuschen waren völlig durchgeweicht, das Pulver verklumpt, die Zündplättchen zerstört. Es war sinnlos, sie zum Trocknen in die Sonne zu legen.
Bäcker zerbrach die Kartuschen zwischen seinen Fäusten und schleuderte sie in den Sand.
»Wir haben noch zwei Möglichkeiten«, sagte er .
»Uns aufhängen oder von den Haien fressen lassen!« schrie Shirley.
Er war nicht mehr ansprechbar; der Schock war zu groß gewesen. Mit flackernden Augen starrte er auf Anne, die am Meer entlangrannte, das SOS-Band hinter sich herzog und immer wieder in den Wind warf. Es sah aus, als tanze sie durch die Sonne und ließ einen Schleier um sich wehen. Schließlich blieb sie am Ufer stehen, eingewickelt in das rote SOS, und sah in den leeren Himmel. Ein Hauch des fernen Motorengeräusches wehte noch zu ihnen hin. Sie stand am Meer mit ausgebreiteten Armen, als wolle sie die Sonne anflehen, sie wie einen Wassertropfen aufzusaugen.
»Reden Sie nicht so einen Blödsinn, Shirley«, sagte Bäcker. Sein verkürztes Bein schmerzte in der Hüfte, die Anstrengung des schnellen Laufens zitterte in seinen Muskeln und Sehnen. Über sein verbranntes, mit roter, verschrumpelter, narbiger Haut überzogenes Gesicht rann der Schweiß und brannte an den noch nicht voll bedeckten, schorfigen Stellen. »Ich hätte Sie für stärker gehalten!«
»Was haben Sie zu verlieren?« Shirley ballte die Fäuste. »Sie sind zufrieden mit ihrem verdammten Viktoria-Eiland. Ihr Leben ist hier zu Ende. Sie zählen keine Tage mehr, Sie liegen hier herum und dösen sich hinüber in die Ewigkeit. Aber ich habe eine Frau und drei Kinder. Ich will leben! Leben! Ich habe ein Haus gebaut, einen Garten angelegt, für mein Alter gesorgt – ich bin ein normaler Mensch, nicht so ein Spinner wie Sie, der diese dreimal verfluchte Insel für ein Paradies hält. Die Hölle ist das, die reinste Hölle, die vollkommenste Hölle! Von mir aus können Sie mit Anne hier Adam und Eva spielen und zehn Kains und Abels zeugen … aber ich will hier weg! Weg!«
Er schluchzte plötzlich auf, und es war erschreckend zu sehen, wie ein so bärenstarker Mann wie Shirley verfiel und zum kleinen Kind wurde.
»In vier Wochen kommt das Flugzeug wieder«, sagte Bäcker. »Am Freitag, nach meinem Kalender.«
»Der Teufel hole Ihren Kalender. Und wenn es wirklich kommt … was sollen wir in die Luft schießen? Wollen Sie eine Schleuder konstruieren und Baumstämme katapultieren?«
»Wir können Rauchzeichen geben, Shirley. Nach guter alter Eingeborenenart. Am Freitag kommt das Flugzeug, das wissen wir nun. Eine Stunde vorher zünden wir einen großen Holzstoß an, feuchtes Holz, das eine gewaltige Rauchsäule entwickelt. Unter diesem klaren Himmel kann man sie nicht übersehen.«
»Hier ist alles möglich«, sagte Shirley. Er beruhigte sich etwas. Anne kam vom Meer herauf, noch immer in die Stoffbahn mit dem leuchtenden SOS gewickelt. Ihre Augen waren traurig. Sie warf die Arme hoch, fiel erschöpft gegen Bäcker und weinte. Er drückte sie an sich, streichelte ihren zuckenden Kopf und umfaßte ihren schmalen Körper, der in ihrer Trostlosigkeit so erschütternd hilflos wirkte.
»Die da oben im Flugzeug werden herunterglotzen und denken: Sieh an, ein Waldbrand. Die verdammte Sonne. Nur gut, daß die Insel nicht bewohnt ist. Und dann fliegen sie weiter«, sagte Shirley eigensinnig. »Ihre Rauchzeichen sind Scheiße, Bäcker!«
»Dann bleibt uns nur die zweite Möglichkeit … unser Einbaum!«
»Von einer Hölle in die andere! Sie haben noch keinen Einbaum gebaut, ich auch nicht. Wenn das Ausbrennen schiefgeht, was dann?«
»Dann fällen wir einen neuen Baum, Shirley. Wir fällen und bearbeiten so lange Bäume, bis uns einer gelingt! Wir haben etwas zum Überfluß: Zeit. Die sollten wir ausfüllen.«
»Haben Sie nicht vor kurzem noch zu mir gesagt: Ich bewundere Sie?!«
»Ich glaube, ja. Sie machten den Eindruck einer unüberwindlichen Stärke.«
»Ich gebe Ihnen das zurück, Werner. Sie haben mich besiegt. Ich bin am Ende. So verrückt das ist – vielleicht das Verrückteste auf dieser Mistinsel – ich erkenne Sie als Chef dieses Höllenparadieses an. Verfügen Sie über mich. Sie haben etwas, was ich nie lernen werde: die Gelassenheit dem Schicksal gegenüber. Gibt es eigentlich etwas, was Sie aus den Schuhen hauen kann, Bäcker?«
»Eine Menge: der Tod meiner Frau und meiner Kinder; die Liebe zu Anne; Ihr Mord an meinem
Weitere Kostenlose Bücher