Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
dämliche Gerichtsverhandlung«, sagte Shirley. »Und ich muß auch jetzt wieder sagen: Wenn's Ihnen Spaß macht, traue ich Sie auch! Warum nicht? Ihr Sinn für Ordnung, wo Ordnung sinnlos geworden ist, ist geradezu pervers. Wann soll die Hochzeit sein?«
»Heute abend, Paul. Ruhen Sie sich gut aus, und genießen Sie die delikate Situation, gleichzeitig Jäger einer angeblichen Mörderin und Standesbeamter sowie Trauzeuge dieser Verfolgten zu sein. Ich gehe und spreche unterdessen mit Anne –«
Shirley nickte und schloß die Augen.
Man wird mir das alles später nicht glauben, dachte er. Man wird es einfach nicht erzählen können, ohne für idiotisch gehalten zu werden. Aber was tut man nicht alles, gerade aus dem Grund, nicht verrückt zu werden auf diesem kleinen Häufchen aus Steinen, Korallen und Sand mitten im Ozean, für immer dort gefangen, wenn nicht wirklich ein Wunder geschieht …
»Werner!« rief Shirley und setzte sich. Bäcker blieb stehen und drehte sich um. »Wann soll das Flugzeug kommen?«
»Immer am 25. eines Monats.«
»Und welchen Tag haben wir heute?«
»Den 19. Shirley. Warum?«
»Sollten wir das Flugzeug nicht erst abwarten?«
»Nein. Ich möchte Anne nicht als Perkins, sondern als Mrs. Bäcker gerettet sehen. Verstehen Sie, warum?«
»Nein.«
»Zu Ihrer Entlastung. Sie können dann immer sagen: Eine Mrs. Bäcker habe ich nicht gesucht, und eine Mrs. Perkins ist nicht vorhanden!« Er lachte und winkte Shirley zu. »Es lügt sich damit bestimmt leichter.«
Shirley ließ sich wieder in den Sand zurückfallen. Er hat recht, dachte er. Man muß das Unmögliche möglich machen, um diese schreckliche Einsamkeit, mit irgend etwas auszufüllen. Und je verrückter es ist, um so gründlicher zerstört man damit die lähmende Angst, von dieser grandiosen feindlichen Natur besiegt zu werden.
XIV
Am Abend hatte Bäcker auf ein Brett mit Bleistift die Verfassung von Viktoria-Eiland geschrieben und vereidigte Shirley und Anne auf den simplen, aber schweren Satz, ein guter Mensch zu sein. Dann rammte er das Brett in den Sand wie eine Fahnenstange und winkte Shirley heran.
»Ihr Platz ist jetzt vor der Verfassung, Paul«, sagte er. »Wir greifen auf die allgemein gebräuchliche Trauformel zurück. Kennen sie die noch?«
»Teilweise. Kraft Gesetz und so … und der Pfarrer steuert da noch den düsteren Satz bei: Bis daß der Tod euch scheidet … Soll der hier auch verwandt werden?«
»Gerade der, Shirley«, sagte Bäcker ernst. »Es ist der wichtigste Satz überhaupt.«
Er faßte Anne um die Taille, zog sie zärtlich an sich heran, und Shirley bemerkte erst jetzt, daß sie ihre langen, schwarzen Haare geflochten und mit dicken Fischgräten aufgesteckt hatte. Ein Geflecht aus Palmblättern lag darüber wie ein grüner Schleier. Shirley atmete tief auf – er hatte nie eine schönere Braut gesehen.
Die Traurede, dachte er. Wie fängt man da an? Man sollte dieses Schild mit der Scheißverfassung aus dem Sand reißen und ins Meer schleudern.
Er sah Anne wieder an und bemerkte, wie glücklich sie war.
»Ich weiß nicht«, sagte Shirley mit belegter Stimme, »was uns noch alles erwartet. Wir leben weder in einem Paradies noch in einer Hölle, wir leben eigentlich überhaupt nicht, denn wir sind dort, wo menschliches Leben nach dem Naturgesetz gar nicht möglich ist. Trotzdem gibt es hier zwei Menschen, die sich lieben und die die Kraft und den verrückten Glauben haben, in diesem Nichts von Leben glücklich zu werden. Hier hört aller Verstand auf, und man kehrt zurück in die Schöpferhand Gottes. Ich frage nicht, Annamaria Hartmann, verwitwete Perkins, ob du diesen Werner Bäcker liebst und zum Manne haben willst – ich frage dich: Bist du stark genug, mit ihm das schreckliche Ende, das ein Mensch nehmen kann, nämlich hier zu verrecken, durchzustehen, dann antworte mit Ja.«
»Ja!« sagte Anne laut.
»Und du, Werner Bäcker?«
»Ja!«
»Dann erkläre ich euch kraft des Gesetzes für Mann und Frau … bis daß der Tod euch scheidet.« Shirley breitete die Arme aus. »Da steht er neben euch. Er ist euer Trauzeuge. Amen. Ende.«
Er drehte sich um, packte die Tafel mit der ›Verfassung‹, riß sie aus dem Sand und warf sie ins Meer.
»Können Sie singen?« fragte Bäcker, als Shirley zurückkam.
Shirley zuckte zusammen.
»Auch das noch!«
»Zu einer Hochzeit gehört Musik.« Bäcker drückte Anne an sich. »Begreifen Sie nicht, Paul, was für ein herrlicher Tag das ist? Ein Tag zum
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